Die Treibjagd
wiederholt erbötig gemacht hatte, seine Nichte zu sich zu nehmen, um ein wenig Heiterkeit in sein stilles Gelehrtenhaus zu bringen. Ferner erläuterte ihm Frau Sidonie, daß er nicht länger in der Rue Saint-Jacques wohnen könne. Sie wird ihm für einen Monat ein elegant möblirtes Heim in der Nähe des Stadthauses miethen und dieses Heim in einem bürgerlichen Hause zu finden suchen, damit es den Anschein habe, als gehörten die Möbel ihm. Was die Einrichtung seiner bisherigen Wohnung betrifft, so wird dieselbe verkauft werden, um die letzten Spuren der Vergangenheit verschwinden zu machen. Den Erlös für dieselbe wird er zum Ankaufe eines Vorraths seiner Wäsche und Kleider verwenden. Drei Tage später befand sich Klotilde in der Obhut einer alten Dame, die gerade nach dem Süden abreiste, und triumphirend, mit glänzenden Backen, gleichsam verjüngt und gestärkt durch diese drei Tage, in welchen ihm das Glück zuzulächeln begann, hatte Aristide Saccard in einem im Marais, Rue Payenne gelegenen Hause von strengem, achtunggebietendem Äußeren eine aus fünf Räumen bestehende Wohnung inne, die allerliebst eingerichtet war und in welcher er mit gestickten Pantoffeln umherging. Es war das die Wohnung eines jungen Abbés, der plötzlich nach Italien hatte reisen müssen und dessen Magd Weisung erhalten hatte, einen Miether zu suchen. Diese Magd war die Freundin der Frau Sidonie, die ein wenig dem Pfaffenthum ergeben war. Sie empfand für die Priester dieselbe Liebe wie für die Frauen: eine instinktive Liebe, die vielleicht eine gewisse Verwandtschaft zwischen der Soutane und seidenen Frauenkleidern entdeckt hatte. Nun war Saccard bereit; mit vollendeter Kunst bereitete er seine Rolle vor und sah ohne mit den Wimpern zu zucken, den Schwierigkeiten der Situation entgegen, die er angenommen.
Während der schrecklichen Nacht, da Angèle in den letzten Zügen lag, hatte Frau Sidonie die Lage der Familie Béraud in knappen Worten wahrheitsgetreu geschildert. Das Oberhaupt derselben, Herr Béraud du Châtel, ein stattlicher Greis von sechszig Jahren, war der letzte Sproß einer alten Bürgerfamilie, deren Ahnen weiter zurückreichten, als die gewisser adeliger Familien. Einer der Vorfahren war der Gefährte Etienne Marcel's gewesen. Im Jahre 1793 endete sein Vater auf dem Blutgerüst, nachdem er die Republik mit dem ganzen Enthusiasmus eines Pariser Bürgers, in dessen Adern revolutionäres Blut rollte, begrüßt hatte. Er selbst war einer jener spartanischen Republikaner, die von einer aus lauterer Gerechtigkeit und vernünftiger Freiheit bestehenden Regierung träumen. Nachdem er als Richter alt geworden und als solcher eine berufsmäßige Strenge angenommen hatte, nahm er im Jahre 1851, zur Zeit des Staatsstreiches, seinen Abschied als Gerichts-Senatspräsident, nachdem er sich geweigert hatte, an einer jener gemischten Kommissionen theilzunehmen, welche die französische Rechtspflege entehrten. Seit jener Zeit lebte er einsam und zurückgezogen in seinem Hotel auf der Insel Saint-Louis, welches sich an der Spitze der Insel, dem Hotel Lambert beinahe gegenüber befand. Seine Gattin war noch in jungen Jahren gestorben. Ein geheim gehaltenes Drama, welches eine noch immer blutende Wunde geschlagen, verdüsterte das Antlitz des alten Mannes noch mehr. Er hatte bereits eine achtjährige Tochter, Renée, als seine Frau bei der Geburt einer zweiten Tochter starb. Letztere, die den Namen Christine erhielt, wurde von einer Schwester des Herrn Béraud du Châtel aufgenommen, die an den Notar Aubertot verheirathet war. Renée dagegen kam in's Kloster. Frau Aubertot, die keine Kinder hatte, faßte eine mütterliche Zuneigung zu Christine, die an ihrer Seite heranwuchs. Nachdem ihr Gatte gestorben, brachte sie die Kleine zu ihrem Vater zurück und sie selbst lebte fortan in Gesellschaft des schweigsamen Greises und des lächelnden Blondkopfes. An Renée in ihrer Pension dachte Niemand. Wenn sie während der Ferien nach Hause kam, erfüllte sie das Hotel mit solchem Lärm, daß ihre Tante einen Seufzer der Erleichterung ausstieß, wenn sie sie endlich in das Kloster zur Heimsuchung Mariä zurückführen konnte, wo sie seit ihrem achten Jahre lebte. Sie verließ das Pensionat erst im Alter von neunzehn Jahren und da sollte sie gleich die schöne Sommerzeit bei den Eltern ihrer guten Freundin Adeline verbringen, die im Nivernais-Lande einen wunderbaren Landsitz ihr eigen nannten. Als sie im Oktober zurückkehrte, war Tante
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