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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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erst hinüberblicken konnten, wenn sie sich ein wenig vorneigten. Dort herrschte ein ewiges Kommen und Gehen. Gruppenweise schritten die Spaziergänger vorüber; die Dämchen wandelten paarweise einher und zogen ihre Kleider nach sich, die sie mit lässiger Geberde von Zeit zu Zeit emporhoben, wobei sie lächelnd und müde um sich blickten. Unter ihrem Fenster befanden sich die kleinen runden Tische des Café Riche selbst, von einer Menge Gasflammen beleuchtet, deren Licht sich bis in die Mitte der Straße erstreckte und die bleichen, lächelnden Gesichter der Passanten ausnehmen ließ. Ringsum an den Tischen saßen Männer und Frauen, trinkend, lesend, plaudernd. Letztere trugen helle Kleider und hatten das Haar in den Nacken hängen; sie wiegten sich mit ihren Stühlen und sprachen laut unter einander, doch konnte man des lärmenden Wagengerassels wegen ihre Worte nicht vernehmen. Renée fiel insbesondere eine Dame auf, die ganz allein an einem Tische saß, ein dunkelblaues Kleid trug, welches mit weißen Spitzen geputzt war. Halb in ihrem Stuhl zurückgelehnt, trank sie in kleinen Zügen ein Glas Bier, wobei sie die Hände auf dem Bauch liegen hatte und mit dem Ausdrucke resignirter Erwartung vor sich hinblickte. Die lustwandelnden Damen verloren sich allmälig unter der Menge und die junge Frau, deren Interesse sie erregt hatten, folgte ihnen mit den Augen von einem Ende des Boulevards zum anderen, inmitten des verwirrenden Getriebes der Straße, welche von der schwarzen Masse der Spaziergänger angefüllt war, so daß selbst die hellen Gasflammen blos dürftigen Funken glichen. Und dieses Defilé erneuerte sich ohne Unterlaß, mit einer ermüdenden Gleichmäßigkeit, – eine sonderbar gemischte Welt, die sich stets gleich blieb, inmitten der lebhaften Farben, der gähnenden Schatten und des feenhaften Glanzes dieser tausend tanzenden Flammen, die wie eine Fluth aus den Kaufläden hervorkamen, die transparenten Ankündigungen der Fenster und Kioske in ein farbiges Licht tauchend, über die Façaden der Häuser in der Form von Stäben, Buchstaben, flammenden Zeichnungen dahineilend, Sterne in das Dunkel streuend, unaufhörlich über den Fahrweg dahin gleitend. Der betäubende Lärm, der empordrang, hatte etwas Einförmiges, Langgezogenes, gleich den begleitenden Tönen einer Dreh-Orgel bei dem endlosen Rundgang kleiner mechanisch beweglicher Puppen. Einen Augenblick glaubte Renée, ein Unfall sei geschehen. Eine Menge Menschen strömte nach links, ein wenig über die Passage de l'Opera hinaus. Als sie aber ihren Stecher zu Hilfe nahm, erkannte sie, daß ein Omnibusstandplatz die Bewegung hervorrufe. Auf dem Trottoir stand eine Menge Leute wartend da, die vordrängten, so oft ein Wagen anlangte. Sie vernahm die rauhe Stimme des Schaffners, der die Nummern aufrief; dann tönte das Läuten des Zählapparates hell an ihr Ohr. Sie sah die Anschlagzettel eines Kiosks, welche mit den buntesten Farben bemalt waren: in einem gelb-grünen Rahmen sah man den grinsenden Kopf eines Teufels mit gesträubtem Haar, – die Reklame eines Hutfabrikanten, welche sie nicht verstand. Von fünf zu fünf Minuten rollte der Omnibus von Batignolles vorüber, mit seinen rothen Laternen und seinem gelben Kasten, der um die Ecke der Rue le Peletier bog, wobei alle seine Fensterscheiben klirrten, und sie sah die bleichen Gesichter der auf dem Verdeck sitzenden Männer sich emporrichten und Maxime und sie mit dem gierigen Blicke von Hungerleidern, die zum Schlüsselloch hereinspähen, mustern.
    »Ah!« bemerkte sie; »im Monceau-Park herrscht jetzt bereits tiefe Ruhe!«
    Dies war Alles, was sie sprach. Etwa zwanzig Minuten blieben sie am Fenster, sich dem berauschenden Eindruck des rastlosen Treibens und blendenden Lichtes überlassend. Als dann aufgetragen worden, setzten sie sich zu Tische und da die Gegenwart des Kellners ihr lästig zu sein schien, so schickte ihn Maxime hinaus.
    »Lassen Sie uns ... Zum Nachtisch werde ich Ihnen klingeln.«
    Auf den Wangen hatte sie kleine rothe Flecke und ihre Augen glänzten, als wäre sie gelaufen. Es schien, als brächte sie vom Fenster Einiges von dem lebhaften Getriebe des Boulevards mit sich; – sie wollte nicht, daß ihr Gefärthe die Fensterflügel schließe.
    »Das ist unser Orchester,« erwiderte sie ihm, als er sich über den Lärm beklagte. »Du findest nicht, daß dies eine ergötzliche Musik ist? Dieselbe wird eine treffliche Begleitung zu unseren Austern und unserem Rebhuhn

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