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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schlüpfrigen Theorien und stützten sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, gleich zwei Freunden, die es sich nach dem Essen bequem machen. Das Geräusch auf den Boulevards verminderte sich allmälig; Renée aber schien es, als vergrößere sich dasselbe und mitunter hatte sie ein Gefühl, als rollten alle Wagenräder durch ihren Kopf.
    Als er bemerkte, er wolle klingeln, damit man das Dessert bringe, stand sie auf, schüttelte ihre lange Satinblouse, um die Brodkrümchen zu entfernen und sagte:
    »Du kannst Dir nun eine Zigarre anzünden.«
    Sie war ein wenig betäubt. Ein Geräusch, dessen Natur sie sich nicht zu erklären vermochte, lockte sie an's Fenster. Man schloß die Verkaufsläden.
    »Sieh,« sagte sie, sich zu Maxime zurückwendend; »unser Orchester bricht auf.«
    Damit neigte sie sich wieder hinaus. In der Mitte der Straße kreuzten die Fiaker und Omnibusse noch immer ihre buntfarbenen Laternen, jetzt aber schon rascher und nicht so zahlreich. Auf den Seiten, die Trottoirs entlang gewahrte man große, dunkle Schatten, – sie bezeichneten die geschlossenen Verkaufsläden. Nur die Kaffeehäuser lagen noch in strahlendem Glanze da und warfen leuchtende Flächen auf das Asphalt. Von der Rue Drouot bis zur Rue du Helder erblickte Renée eine lange Reihe heller und dunkler Vierecke, in welchen sich die letzten Spaziergänger aufhielten. Die Dirnen, die mit ihren langen Kleidern bald hell erleuchtet waren, bald in tiefem Schatten versanken, glichen Geister-Erscheinungen, bleichen Marionetten, die momentan von dem elektrischen Licht einer Feerie bestrahlt wurden. Eine kurze Weile bereitete ihr dieses Spiel Vergnügen. Das von allen Seiten erstrahlende Licht war bedeutend zusammengeschmolzen; die Gasflammen erloschen, die buntscheckigen Zeitungkioske bildeten noch dunklere Massen in dem Nachtschatten. Zuweilen ging noch eine größere Gruppe, aus einem Theater kommend, vorüber. Doch bald machte die Nacht ihre Rechte geltend und nun erschienen unter dem Fenster kleine Gruppen aus zwei oder drei Männern bestehend, welchen sich sofort eine weibliche Gestalt anschloß, worauf sich eine kleine Discussion entwickelte. In dem verhallenden Geräusch drangen einzelne Worte an Renée's Ohr; dann entfernte sich die Frau zumeist am Arme eines der Männer. Andere Mädchen zogen von einem Kaffeehause zum anderen, machten die Runde um die Tische, steckten den auf denselben vergessenen Zucker ein, scherzten mit den Kellnern und blickten fest, mit fragendem Ausdruck und schweigendem Angebot die verspäteten Gäste an. Als Renée mit den Augen dem fast leeren Verdeck eines Batignoller Omnibus folgte, erkannte sie an der Ecke des Trottoirs die Frau im dunkelblauen Kleide mit weißen Spitzen, wie sie noch immer suchend und erwartungsvoll um sich blickte.
    Als Maxime gleichfalls an's Fenster trat, lächelte er bei dem Anblick eines halb offenstehenden Fensterflügels im Café Anglais. Der Gedanke, daß sein Vater in lustiger Gesellschaft dort verweile, erschien ihm zu drollig; doch ward er an diesem Abend von einer gewissen Befangenheit beherrscht, die ihn hinderte, seine gewohnten Scherze zu treiben. Renée that es leid, als sie das Fenster verlassen mußte. Eine gewisse Trunkenheit, eine Art Mattigkeit drang vom Boulevard zu ihr empor. In dem schwächer werdenden Wagenrollen, in dem Verschwinden der lebhaften Beleuchtung lag etwas, das verlockend zur Wollust und zum Schlafe einlud. Das leise Geflüster, welches sich vernehmbar machte, die in einer dunkeln Ecke sich ansammelnden Gruppen gestalteten das Trottoir zu dem Korridor einer großen Herberge, wo sich die Reisenden gerade zu Bett legten. Immer mehr verstummte das Geräusch, immer mehr erloschen die Lichter, die Stadt versank in Schlummer und ein Hauch wie von zärtlichen Umarmungen glitt über die Dächer hinweg.
    Als sich die junge Frau zurückwandte, zwang sie das Licht des kleinen Kronleuchters die Augen zu schließen. Sie war ein wenig bleich und ihre Mundwinkel zuckten leise. Charles trug das Dessert auf; er ging hinaus, kam wieder zurück, öffnete und schloß die Thüren leise, mit dem Phlegma eines Mannes, der da weiß, was sich schickt.
    »Ich habe gar keinen Hunger mehr,« rief Renée aus, »räumen Sie alle diese Teller weg und bringen Sie uns den Kaffee.«
    Der an die Launen seiner Gäste gewöhnte Ganymed entfernte das Dessert und trug den Kaffee auf. Der kleine Raum konnte seine Wichtigkeit kaum fassen.
    »Ich bitte Dich, setze ihn vor die Thür,« wandte

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