Die Treibjagd
den Knoten nicht zu erneuern. Da kam ihr Charles zu Hilfe, indem er gleichmüthigen Tones, als würde er ihr etwas Selbstverständliches, eine Mundschale oder einen Zahnstocher anbieten, fragte:
»Wünschen Sie den Kamm, Madame?«
»Ach was, unnöthig,« sagte Maxime mit einem Blick ade Ungeduld. »Holen Sie uns einen Wagen.«
Renée entschloß sich, blos die Kapuze ihres Dominos herunterzuziehen. Und als sie vom Spiegel hinwegtrat, reckte sie sich ein wenig, um die Worte zu lesen, welche die hastige Umarmung Maxime's sie nicht hatte lesen lassen. In steil zum Plafond emporsteigenden, plumpen Buchstaben las sie die mit Sylvia unterzeichneten Worte: »Ich liebe Maxime«. Sie spitzte die Lippen und zog die Kapuze noch tiefer in die Augen.
Im Wagen empfanden Beide eine fürchterliche Verlegenheit. Sie saßen einander gegenüber, ebenso wie sie gesessen, als sie den Monceau-Park verließen. Sie fanden kein Wort einander zu sagen. Im Inneren des Fiakers herrschte dichte Finsterniß, in welcher jetzt selbst der glühende rothe Punkt der Zigarre Maxime's fehlte. Der junge Mann, neuerdings von den Röcken verdeckt, die »ihm fast die Augen ausstachen,« litt sehr unter dieser Dunkelheit, unter diesem Stillschweigen, in der Nähe dieser stummen Frau, die er an seiner Seite wußte und deren Augen er weit geöffnet in die Nacht hinausstarren zu sehen wähnte. Um sich den Anschein größerer Unbefangenheit zu geben, suchte er endlich nach ihrer Hand und erst als er dieselbe in der seinigen hielt, erschien ihm die Lage erträglicher. Diese Hand überließ sich ihm, weich und träumerisch.
Der Wagen rollte über den Madeleine-Platz. Renée sagte sich, daß sie nicht schuldig sei. Sie hatte die Blutschande nicht gewollt. Und je länger sie nachdachte, je klarer ward es ihr, daß sie unschuldig gewesen, während der ersten Stunden ihres Abenteuers, auf ihrem fluchtähnlichen Gang durch den Park Monceau, bei Blanche Müller ebenso, wie auf dem Boulevard und in dem Sonderkabinet des Restaurants. Wozu war sie aber nur am Rande dieses Divans in die Kniee gesunken? Sie wußte es selbst nicht mehr. Sie hatte doch nicht einen Augenblick an jene Sache gedacht und hätte sich sogar von Zorn erfüllt zur Wehre gesetzt. Das Ganze war bis dahin so lustig gewesen, sie hatte sich amüsiert und hatte gelacht, weiter nichts. Und während der Wagen dahinrollte, vernahm sie wieder das betäubende Geräusch des Boulevards, das ruhelose Kommen und Gehen der Männer und Frauen, während sie Feuerbrände vor den müden Augen zu haben glaubte.
In seiner Ecke lehnend war auch Maxime in unangenehme Gedanken versunken. Er ärgerte sich über das Abenteuer. Er hatte sich von dem schwarzen Satindomino verführen lassen. Wer hatte aber auch schon erlebt, daß sich eine Frau so lächerlich vermumme? Nicht einmal ihr Hals war zu sehen gewesen. Er hatte sie für einen Knaben gehalten, mit ihr gespielt und trug keine Schuld daran, wenn aus dem Spiel Ernst geworden. Gar kein Zweifel, daß er sie nicht mit einem Finger berührt hätte, wenn sie wenigstens eine Schulter entblößt gehabt. Er würde sich erinnert haben, daß sie die Frau seines Vaters sei. Da er aber kein Freund unangenehmer Gedanken war, so verzieh er sich. Er wird Acht haben, daß die Sache sich nicht wiederhole; es wäre doch zu dumm.
Der Wagen hielt an und Maxime stieg zuerst aus, um Renée herauszuhelfen. Vor der kleinen Parkthür aber wagte er sie nicht zu küssen und sie reichten sich nur die Hände wie sonst. Sie befand sich schon jenseits des Gitters, als sie, nur um etwas zu sagen und dadurch ohne es zu wollen, verrathend, daß ein Gedanke sie seit dem Verlassen des Restaurants unablässig beschäftige, fragte:
»Was ist's denn mit dem Kamm, von welchem der Kellner sprach?«
»Ich weiß wirklich nicht, was er damit meinte,« erwiderte Maxime verlegen.
Mit einem Male war Renée die Sache klar. Das Kabinet besaß zweifellos einen Kamm, der zur Einrichtung gehörte, wie die Fenstervorhänge, der Riegel und der breite Divan. Und ohne eine Erklärung abzuwarten, die noch nicht gekommen war, vertiefte sie sich beschleunigten Schrittes in die dunkeln Laubgänge des Monceau-Parkes, meinend, die Zähne aus Schildpatt hinter sich zu sehen, in welchen Sylvia und Laura d'Aurigny ihre blonden und schwarzen Haare zurückgelassen hatten. Sie hatte Fieber. Céleste mußte sie zu Bett bringen und bis zum Morgen bei ihr wachen. Maxime, der auf dem Trottoir des Boulevard Malesherbes zurückgeblieben,
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