Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
belangen, weil er die Polizei belogen hat, doch sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Strohman sind übereingekommen, dass die Sache eine einzige Schande sei, weshalb man sie so schnell wie möglich unter den Teppich kehren und abhaken wolle.«
»Was wird nun mit den beiden geschehen?«
»Weiß nicht. Schätze, man lässt sie ihr Leben weiterführen. Zumindest kennen wir jetzt die Wahrheit.«
Die Vorstellung, der Junge sei wie ein verwundetes Tier zum Sterben in seine Höhle gekrochen, überstieg mein Fassungsvermögen. Aus welchen Gründen auch immer wäre ich leichter damit fertiggeworden, wenn ihn jemand umgebracht hätte.
»Hör mal«, sagte Adam, als er aufstand und seine Hose hochzog. »Wieso gehst du nicht rüber und haust dich aufs Ohr?«
»Werde ich, aber jetzt noch nicht.«
»Das ist mein kleiner Bruder. Ständig nachdenklich.« Er kratzte sich die Stirn, wirkte mit einem Mal so alt, dass mir Tränen in die Augen traten. Er lächelte erschöpft und ging aus der Küche. Dann drehte er sich noch einmal um, sein Gesicht verhüllt im Dunkel. »Lässt dich das mit seinem Tod abschließen?«
Ich wusste, Adam meinte nicht Elijah. Nach einem Moment sagte ich: »Ich weiß es nicht.«
»Entschuldigung«, sagte Adam.
»Wofür?«
Er zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht genau.«
»Wie auch immer … danke.«
»Ich liebe dich, Bro.«
»Yeah«, erwiderte ich, »Ich liebe dich auch.«
Fünf Minuten später schlüpfte ich nur noch in Unterwäsche und Socken unter die kühlen Laken auf die Ausziehcouch meines Bruders. Ich gab acht, Jodie nicht zu wecken, doch als ich meinen Kopf aufs Kissen legte und ihrem Atem lauschte, erkannte ich, dass sie wach war.
»He du«, murmelte ich.
»Du weißt, dass wir nicht hierbleiben können«, flüsterte sie mit dem Rücken zu mir.
»Ich weiß.«
»Er wird dir fehlen.«
Für einen kurzen Moment, dachte ich, sie meinte Elijah Dentman und meine Besessenheit zu ihm.
Als würde sie meine Gedanken lesen und müsse mir Klarheit verschaffen, präzisierte sie: »Adam.«
Ich schloss meine Augen. »Ja.«
»Es ist so traurig. Das war die Gelegenheit, euch wieder näherzukommen.«
Zu meiner Verwunderung musste ich gegen Tränen ankämpfen.
»Jodie?«
»Was ist?«
»Ich muss dir etwas sagen.« Meine Stimme erstarb wie ein verglühender Stern. »Es geht um Kyle … was damals wirklich geschehen ist.«
Sie rutschte dichter zu mir. Ich spürte ihre Wärme. »Gut«, entgegnete sie. »Darauf warte ich schon lange.«
Kapitel 37
Das wahrscheinlich einzig erwähnenswerte Ereignis während unserer letzten Tage in Westlake, Maryland, trug sich zwei Nächte vor unserer geplanten Abfahrt nach Kalifornien zu, wo nicht weit von San Diegos Gaslight Quarter ein nettes, kleines Appartement auf uns wartete. Ich hatte den letzten Monat damit verbracht, unsere Sachen zusammenzupacken und einen Großteil davon in einer privaten Lagerstätte in der Stadt zu verwahren. Seitdem man Elijahs Leichnam aus dem Haus geborgen hatte, wollte Jodie nicht mehr dorthin zurückkehren, nicht einmal für eine Sekunde. Verübeln konnte ich es ihr nicht. Wir durften für den Rest der Zeit bei Adam und Beth wohnen, während ich versuchte, ein neues Zuhause für Jodie und mich zu finden – weit, weit weg von Westlake, dem Haus am See und der Tragödie der Dentmans.
Dafür ließ ich meine verbliebenen Kontakte aus College-Zeiten spielen. Ich schloss mich mit einem alten Bekannten kurz, einem Drehbuchautor in Los Angeles, der in erster Linie unser Telefongespräch dazu nutzte, mir zu gestehen, dass er auf den Erfolg seines Pseudonyms eifersüchtig war, und kurz vor einer klinischen Depression stand. Nichtsdestotrotz trug die Unterhaltung Früchte: Er wusste von einem Appartement, das erst kürzlich frei geworden war, und kannte den Eigentümer des Wohnhauses, in dem es sich befand, über den Freund eines Freundes und so weiter. Die Aussicht darauf, die kalten Winter zurückzulassen, gefiel Jodie, was bedeutete, dass sie auch mir gefiel.
Zwei Tage bevor der Trip quer durch die Staaten losgehen sollte, saß ich ein letztes Mal im Tequila Mockingbird und wartete auf Adam, mit dem ich mich nach seinem Dienst treffen wollte. Ich hatte eine Karte vor mir ausgebreitet und markierte infrage kommende Strecken mit verschiedenfarbigen Stiften. Der Plan war, nichts dem Zufall zu überlassen. Wir wollten die Zeit nutzen, um das nachzuholen, was
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