Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
wie ein Besenstiel aussah, aus dem Haus. Ein paar von Adams Freunden nahmen durchs Dickicht entlang am Ufer Reißaus, und ein einzelner schaffte es sogar auf die andere Seite, was keine geringe Leistung darstellte. Adam und ich schwammen unter den Pier, wo wir den Atem anhielten.
Ich erinnere mich noch genau an die Trittgeräusche, die der Mann auf den Brettern verursachte, während er brüllte: »Ihr Kinder, wer immer ihr auch seid, ich knall euch ab, wenn ihr euch noch einmal hier blicken lasst!«
Unsere Köpfe bewegten sich unter dem Steg auf und nieder wie die von Seehunden und wir taten uns schwer, das Lachen zu verkneifen.
Eine Sekunde später knallte es laut über unseren Köpfen und echote wie Donnerhall über den Fluss. Dann kehrte der Alte zu seinem Haus zurück, gewiss, um sich mit dem Stiel an der Schulter, der keiner war, sondern tatsächlich eine Waffe, im Schatten der Weiden auf die Lauer zu legen.
Danach schien keiner von Adams Freunden je wieder sein Leben für den Dreisekunden-Kick aufs Spiel setzen zu wollen, den uns das Springen vom Steg verschafft hatte.
»Feiglinge«, fluchte Adam, nachdem ich ihn andauernd mit der gleichen Frage löcherte, weshalb wir über eine Woche nicht mehr nachts aus dem Haus geschlichen waren. »Ein Haufen feiger Hühner. Willst du hingehen?«
Mich hatte dieses Erlebnis genauso verschreckt wie Adams Freunde, dass mein älterer Bruder mich jedoch als Feigling oder feiges Huhn bezichtigte, wollte ich verhindern. Also sagte ich, ich wolle wieder hin. Natürlich sagte ich das. Natürlich.
»Ich auch«, meinte Kyle, der uns vom Flur aus belauscht hatte.
Adam und ich waren in Adams Zimmer und wir drehten uns gleichzeitig um und schauten unseren kleinen Bruder an.
»Zieh Leine«, zischte Adam.
»Ich will auch im Dunkeln rausschleichen.«
»Darfst du nicht«, ließ Adam ihn wissen. »Bist noch zu klein.«
»Dann verrate ich euch.« Wir hatten schon einige Zeit damit gerechnet, dass er dieses Ass im Ärmel gegen uns ausspielen würde. »Ich sag es Dad.«
»Nein«, widersprach Adam. »Tust du nicht. Falls doch, werden wir dich nach dem Mittagessen nicht mehr mit zum Fluss nehmen.«
»Travis?«, fragte Kyle.
»Er hat recht«, beteuerte ich. »Ein Wort, und du darfst nicht mehr mit uns zum Schwimmen kommen. Und du musst die Nachttischlampe im Zimmer ausmachen, auch wenn du dich fürchtest.«
»Du bist erst zehn geworden«, erinnerte Adam, womit er auf unheimliche Weise wie unser Vater klang, ob bewusst oder nicht. »Da lässt man das Licht nachts nicht mehr an.«
»Das tue ich fast nicht mehr«, protestierte Kyle.
»Wenn du etwas verrätst, knipsen wir es dir für immer aus«, drohte ich.
Und damit hatte es sich. In jener Nacht, nachdem unsere Eltern zu Bett gegangen waren, kam Adam zu uns ins Zimmer und weckte mich. Ich setzte mich auf und zog mich geräuschlos an, während sich Kyle gegenüber im Raum auf der Matratze wälzte, um mich darauf hinzuweisen, dass er wach war. Ich sagte ihm, er solle weiterschlafen, was er mit einem leisen Winseln quittierte, als sei er ein Hund, der gerade gerügt wurde.
Mit Turnschuhen und Badehose schlich ich durch die Tür hinter Adam her über den Flur bis zum Wohnzimmer. Wir verließen das Haus durch die Terrassentür, weil sie am weitesten vom Schlafzimmer unserer Eltern entfernt war und den geringsten Lärm verursachte. Bevor ich ihm nach draußen folgte, blickte ich über die Schulter zurück. Da stand Kyle als milchig undeutlicher Klecks am anderen Ende des finsteren Flurs und starrte mich an. Wie ein Gespenst.
So ging es mehr oder weniger den ganzen Sommer lang weiter, bis Adam die Windpocken bekam. Er hatte sie ziemlich stark und lag deshalb zwei Wochen lang im Bett, wirkte erschöpft und unglücklich.
Seine Haut hob sich – abgesehen von den roten Pusteln – praktisch nicht von den weißen Laken ab, auf denen er ruhte.
Kyle und ich hatten die Krankheit bereits, als wir noch sehr klein gewesen waren. Adam war damals gesund geblieben, obwohl Mutter ihn absichtlich zu uns zwei Rothäuten mit Juckreiz gesteckt hatte. Es stand also außer Frage, dass wir uns erneut ansteckten. Ich weiß noch, wie Kyle und ich gegen Mittag Käsetoast am Fuß von Adams Bett aßen und dabei gemeinsam mit ihm fernsahen, nachdem Vater das tragbare TV auf die Kommode gestellt hatte. Dieser Eindruck, so alltäglich und ereignislos er war, ist einer der lebendigsten, die ich auch als Erwachsener noch in mir trage.
Natürlich schlugen wir uns
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