Die Treue des Highlanders (German Edition)
Telefon zu finden, schwand. Zu dumm, dass sie ihr Handy nicht dabei hatte. Der Regen hatte den Weg aufgeweicht, und Anna versank bis zu den Knöcheln im Schlamm, als sie sich langsam den Hütten näherte. Erleichtert atmete sie auf, als sie durch eine Türritze einen Lichtschein sah. Wer immer in diesen armseligen Behausungen leben mochte – vielleicht gab es ja doch ein Telefon? Sie war noch ungefähr drei Meter von dem Licht entfernt, als die Tür geöffnet wurde und eine Frau heraustrat. Anna wollte sie gerade um Hilfe bitten, aber es verschlug ihr die Sprache, als sie sah, wie die Frau einen Kübel mit Dreck einfach vor die Tür kippte. Es stank bestialisch! Überhaupt lag hier alles voll mit Unrat. Entsetzt sprang Anna zur Seite, als sie vor sich einen Kothaufen sah. Du meine Güte, in was für eine Gegend war sie hier nur geraten? Das, was Anna bisher von Schottland gesehen hatte, war zwar oft karg, aber niemals dermaßen heruntergekommen und dreckig gewesen.
»Entschuldigen Sie bitte, aber dürfte ich bei Ihnen kurz telefonieren?«
Der Kopf der Frau ruckte hoch, und sie starrte Anna entsetzt an. Plötzlich bekreuzigte sie sich dreimal hintereinander und rief etwas in die Hütte hinein, das Anna nicht verstand. Sofort erschien ein bulliger Mann, der ihr entschlossen entgegentrat. »Verschwindet von hier!«
Nur mit Mühe verstand Anna die Worte, denn der Mann sprach einen Dialekt, den sie nie zuvor gehört hatte. Obwohl die beiden seltsamen Gestalten, die mehr in Lumpen als in Kleider gewickelt waren, Anna Angst einflößten, nahm sie ihren Mut zusammen und sagte: »Ich hatte einen kleinen Unfall am See. Mein Auto ist weg, und ich bin klatschnass.« Sie deutete auf ihre Kleider. »Vielleicht erlauben Sie mir, von ihrem Telefon aus Hilfe zu rufen.«
Die Hoffnung, die Leute hätten hier ein Auto und jemand würde sie nach Glenmalloch zurückfahren, hatte Anna aufgegeben, denn es war weit und breit weder ein Wagen noch eine Garage zu sehen.
»Woher kommt Ihr und was wollt Ihr?«, fuhr der Mann sie an. Die Frau drückte sich ängstlich hinter seinen Rücken.
»Ich wohne in Glenmalloch«, gab Anna bereitwillig Auskunft. So wie es aussah, war sie auf die Hilfe dieser seltsamen Menschen angewiesen, daher bemühte sie sich um Freundlichkeit, obwohl sie am liebsten auf und davon gelaufen wäre. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie jetzt auch aus den anderen Hütten Menschen kamen und sich in gebührlichem Abstand im Halbkreis um sie scharten. Es waren ausnahmslos verwahrloste Gestalten mit wirren, verfilzten Haaren, einige Gesichter waren von Eitergeschwüren und roten Flecken verunstaltet. Was ist das hier nur?, fragte Anna sich verzweifelt. Hatte sie aus Versehen ein Lager von Obdachlosen entdeckt? Vielleicht handelte es sich auch um Verbrecher, Diebe oder gar Mörder? Anna wollte gerade sagen, dass sie wohl weitergehen und anderswo um Hilfe bitten würde, als der bullige Mann unwillig knurrte:
»Das hier ist Glenmalloch. Ihr gehört aber nicht hierher. Wenn Ihr allerdings die Burg meint ...«, er drehte sich halb um und deutete in nördliche Richtung, »... die ist da oben.«
Obwohl es inzwischen heftig regnete, erkannte Anna schemenhaft die Umrisse einer trutzigen und wehrhaften Burganlage auf dem Hügel, der sich direkt hinter der Ansiedlung anschloss. Unwillkürlich fühlte sie sich bei dem Anblick an die Ruinen der Burg erinnert, die über Glenmalloch lagen, aber diese Burg war alles andere als eine Ruine.
»Was meinen Sie damit, das hier sei Glenmalloch?«, fragte sie zaghaft. »Heißt das Dorf hier auch so?«
»Geht fort, Ihr seltsame Gestalt!«
Erschrocken fuhr Anna herum, als sie die Stimme nah an ihrem Ohr hörte, und starrte in ein altes, zahnloses Gesicht. Auf dem fast kahlen Schädel der Frau hingen nur noch ein paar graue, fettige Haarsträhnen, am Hals hatte sie ein faustdickes Eitergeschwür. Aber schlimmer als alles andere war der Geruch, der aus ihrem Mund strömte. Unwillkürlich wich Anna einen Schritt zurück und presste eine Hand vor die Nase. Das seltsame Kleid der Alten starrte vor Dreck und war an vielen Stellen geflickt.
Langsam tastete sich Anna Schritt für Schritt rückwärts in Richtung des Hügels. Vielleicht war die Burg ja noch bewohnt. Es gab in Schottland eine ganze Anzahl von alten Gemäuern, die in Privatbesitz waren und, zumindest in den Sommermonaten, auch als Wohnhaus genutzt wurden.
Fast hatte Anna befürchtet, dass jemand sie daran hindern würde, die Ansiedlung zu verlassen,
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