Die Trinity Verschwörung
die erste Etage. Auf diese Weise kann ich Sie erkennen. Eddie hat mir den einen oder anderen handwerklichen Trick aus seinem Gewerbe verraten.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Thomas Neame
Gaddis war fassungslos. Woher wusste Neame, dass er Cranes Tod recherchierte? Als Holly rief: » Das Essen ist fertig!«, ließ ihre Stimme ihn vor Schreck aus dem Sofa hochschnellen. Er überflog den Text ein zweites Mal. Er wusste, dass er solches Beweismaterial besser nicht auf ihrem Computer zurückließ, aber Gaddis hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man den Verlauf aus einem Internetbrowser löschte.
Er hörte sie in der Küche ein Streichholz anreißen. Holly zündete Kerzen an. Weil er nicht wusste, was er tun sollte, loggte er sich aus seinem E-Mail-Account aus und schaltete den Computer ab. Holly steckte den Kopf zur Tür herein, als er gerade den Deckel zuklappte.
» Eigentlich wollte ich die Spaghetti heute noch essen«, sagte sie.
» Klar.« Gaddis stand auf, den Kopf voller Fragen und ein leeres Glas in der Hand. » Was weißt du über Winchester?«
14
Winchester entsprach genau Hollys Beschreibung: eine blankgeputzte wohlhabende Domstadt eine Stunde südlich von London mit einem vom Infarkt bedrohten Einbahnstraßensystem und – so schien es jedenfalls – einer Gedenkstätte für Alfred den Großen an jeder zweiten Straßenecke.
Gaddis war eine Stunde zu früh dort. Er hatte nicht gut geschlafen und Hollys Wohnung bereits um kurz nach acht verlassen, weil er fürchtete, im Stau stecken zu bleiben oder, noch schlimmer, von seinem betagten VW Golf auf der M3 im Stich gelassen zu werden. An der Fulham Road kaufte er sich eine Herald Tribune, die in Winchester womöglich nicht bei jedem Zeitungshändler herumlag, und raste los, einen Cappuccino im Pappbecher zwischen die Beine geklemmt, Blonde on Blonde im CD -Player. In Winchester frühstückte er in einem Café in der Stadtmitte Rühreier, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Waterstone’s Bookshop noch nicht geöffnet hatte. Als Lektüre hatte er die neueste Ausgabe von Private Eye und die Fotokopie eines Prospect -Artikels über Moskau dabei, aber er konnte sich weder auf das eine noch das andere konzentrieren. Die Herald Tribune lag unberührt in einer ledernen Aktentasche zu seinen Füßen. Seine Kellnerin, eine gelangweilte Ungarin, hübsch und wasserstoffblond, blieb bei ihm stehen, um ihm in gebrochenem Englisch von einem Kurs in Design und Technologie zu erzählen, den sie besuchen wollte. Gaddis war dankbar für die Ablenkung.
Um halb elf – der Morgen quälte sich mit geradezu tektonischer Trägheit dahin – betrat er den Buchladen und hielt sich zu keinem anderen erkennbaren Zweck als dem, jeden zu sehen, der zur Tür hereinkam, noch eine Weile im Erdgeschoss auf – in der Hoffnung, es könnte ein einundneunzigjähriger Mann dabei sein. Aus alter Gewohnheit suchte er nach Spuren des eigenen Schaffens und fand eine Hardcover-Ausgabe des Zaren alphabetisch eingeordnet im Geschichts-Regal. Normalerweise hätte Gaddis sich einem Mitarbeiter zu erkennen gegeben und angeboten, das Buch zu signieren, aber in dieser Situation erschien es ihm geraten, anonym zu bleiben.
Um fünf vor elf ging er nach oben. Zu seiner Überraschung war das Obergeschoss keine Großraumabteilung wie unten im Erdgeschoss, sondern ein kleinerer, hell erleuchteter Raum, auf allen Seiten eingeschlossen von Regalen mit Reiseführern und Ratgebern aller Art. Außer ihm war nur ein Kunde anwesend, ein junges, achtzehn- oder neunzehnjähriges Mädchen mit Rastalocken und gebatiktem T-Shirt, das in einer Ausgabe von Südostasien für den kleinen Geldbeutel blätterte. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Fußboden, hob den Blick, als Gaddis am oberen Treppenabsatz auftauchte, und formte mit den Lippen ein Begrüßungslächeln. Gaddis nickte ihr zu und nahm die Herald Tribune aus der Aktentasche, das verabredete Erkennungszeichen. Er klemmte sich die Zeitung unter den Arm, achtete darauf, dass der Titel gut zu lesen war, ein unbeholfener Akt, und zog aufs Geratewohl ein Buch aus dem vorderen Regal, um sein Benehmen etwas unbefangener erscheinen zu lassen.
Er hatte ein Exemplar von Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus erwischt. Bei seinem Versuch, die Zeitung unter dem linken Ellenbogen festzuklemmen und sich gleichzeitig von hinten nach vorn durch das Buch zu blättern, meinte Gaddis die Blicke des Mädchens mit den Rastalocken auf sich zu spüren. Eine Minute verging.
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