Die Trinity Verschwörung
zum Bücherregal. Es war ihm klar, dass die meisten Mitarbeiter, die in sein Büro kamen, ein besonders artiges Benehmen an den Tag legten. Das war einer der Nachteile seiner Position: Exzesse steifer Höflichkeit. Er ging trotzdem nicht so weit, ihr einen Drink anzubieten. Etwas hierarchische Distanz schadete niemandem.
» Vor langer Zeit«, begann er, » habe ich gelernt, dass es bei der Agententätigkeit nicht um die Stärken des menschlichen Charakters geht – ideologische Festigkeit, Pflichtbewusstsein, Vaterlandstreue. Bei unserer Tätigkeit geht es um die Schwächen – Gier nach Geld, Ansehen, Sex. Das ist das sündige Geheimnis unseres geheimen Gewerbes.«
Tanya ahnte, dass von ihr Zustimmung zu dieser These erwartet wurde, und sagte: » Stimmt«, den Blick starr auf Brennans Krawatte gerichtet. Sein Hang zur Überlänge war bekannt innerhalb des Dienstes.
» Ich möchte, dass Sie über einen Mann namens Samuel Gaddis alles herausfinden, was Sie können. Der Mann ist Dozent für russische Geschichte am UCL , Institut für Slawische und Osteuropäische Studien. Kommen Sie ihm nahe, schließen Sie Freundschaft mit ihm, gewinnen Sie sein Vertrauen. Gaddis baggert an einem Geheimnis aus der Zeit des Kalten Krieges, welches das Office gern unter dem Deckel behalten würde.«
» Was ist das für ein Geheimnis?«
Sie hätte gerne andere Fragen gestellt. Wie nah? Welche Art von Freundschaft? Ist dieser Doktor Gaddis verheiratet? Aber sie kannte den Charakter solcher Operationen. Man würde sie nicht bitten und auch nicht von ihr verlangen, die Beziehung zu ihrem Verlobten aufs Spiel zu setzen.
» Vor vielen Jahren hat der SIS einen Herrn namens Edward Crane in seine Dienste genommen, der danach unter mehreren verschiedenen Tarnnamen arbeitete.« Brennan stand jetzt vor dem Bücherregal, strich mit dem Zeigefinger über den Rücken eines Bandes von Sir Winston Churchill. Er versuchte nicht, künstliche Spannung vor der Sensation aufzubauen, die er jetzt mitteilen würde. » Crane war in den dreißiger Jahren Absolvent des Trinity College in Cambridge.« Er blickte Tanya in die Augen, wartete, dass der Groschen fiel. » Er war bekannt mit den Herren Blunt und Philby, den Herren Burgess und Maclean. Er war ein Mitarbeiter von John Cairncross. Verstehen Sie?«
Ein Schreck fuhr durch Tanya, der sich schnell in ein Gefühl tiefer Genugtuung verwandelte. Wie viele Menschen wussten, was man ihr gerade mitgeteilt hatte? Die Identität des sechsten Mannes war das am besten gehütete Geheimnis des Kalten Krieges.
» Cranes Tarnname war ATTILA . Es gelang ihm, anonym zu bleiben, in erster Linie deshalb, weil wir es schafften, alle von seiner Fährte abzulenken, und weil bei Mitrochin nichts über seine Aktivitäten zu finden war.« Obwohl Brennan mit ihr offen redete, hatte Tanya das Gefühl, dass er eine entscheidende Information zurückhielt. » Sie haben mit dem Finger auf Victor Rothschild gezeigt, auf Tom Driberg, sogar den verfluchten Roger Hollis hatten sie zeitweise in Verdacht. Aber niemand ist auf Edward Crane gekommen. Bis auf den heutigen Tag nicht.« Brennan schlenderte auf ein breites sonnenloses Fenster in der nördlichen Ecke des Büros zu. » Doktor Gaddis ist auf der Spur eines Mannes namens Thomas Neame, Alter einundneunzig Jahre, zurzeit wohnhaft in einem Pflegeheim in Winchester. Neame weiß – aus Gründen, die ich an dieser Stelle noch nicht preisgeben darf – mehr oder weniger alles über Cranes Arbeit für die Russen. Ich habe hier eine Akte mit den wesentlichsten Informationen für Sie zusammengestellt.« Er reichte Acocella einen dünnen braunen Briefumschlag, den sie sich auf den Schoß legte. » Ich muss wohl nicht betonen, dass es sich um eine streng geheime Operation handelt. Sie erstatten mir Bericht, ausschließlich und direkt. Ich habe Ihnen den Namen eines Spezialisten vom Nachrichtendienst aufgeschrieben, der Ihnen dabei hilft, die Ohren offen zu halten.« Der Euphemismus ließ sie beide kurz stutzen. » Für Observierungen fehlt es mir an Leuten, also arbeiten Sie allein, solange keine ungewöhnlichen Umstände eintreten. Noch Fragen?«
Tanya war erfahren genug, ihm den Ball noch einmal zurückzuspielen. Um Brennan von ihrer professionellen Einstellung zu überzeugen, sagte sie: » Vielleicht sollte ich erst einmal die Akte lesen, Sir.«
» Gut.« Er schien zufrieden. » Werfen Sie einen Blick hinein, und dann legen Sie sich einen Angriffsplan zurecht.«
Sie stand auf, den
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