Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
frustrierten Dicken hatten ihre einmalige Chance, in den Olymp der Begehrtesten aufzusteigen, erkannt und hielten sie mit ihren Wurstfingerchen so fest, dass noch nicht einmal ein Eisbecher von der Höhe der Freiheitsstatue sie zum Loslassen gebracht hätte. Die bisher vergötterten Schlanken hatten sich so lange durch Glamour-infizierte Talkshows gezappt, bis ihre Panik, den Ansprüchen an die Ästhetik nicht mehr zu genügen, groß genug war, dass sie sich willig auf alles stürzten, das irgendwie nach Kalorienreichtum aussah. Die Faltenfreien suchten nach einer kurzen, mit zwecklosem Widerstand verbrachten Inkubationszeit schließlich abends vor dem Spiegel in ihren Gesichtern vergeblich nach den Geschichten, die sie zu erzählen hätten, nach dem Geheimnis, das sie waren. Und spätestens am nächsten Tag standen sie im nächstbesten Schönheitssalon, um sich eines dieser goldenen Döschen mit der Aufschrift „ Aging-Creme – für Haut mit Charakter “ zu kaufen.
Und so setzte die als ironischer Scherz gedachte Aktion eines gelangweilten New Yorker Bohemien eine Revolution in Gang, weil Zeit und Ort sich günstig getroffen und sich dadurch auf magische Weise ein Tor aufgetan hatte ins Zentrum der Empfänglichkeit: ins Unbewusste. Und dort in den Teil, wo archaische Bilder von Wesen und Formen, wie sie gedacht und über alle Zeiten hinweg ungeachtet ständig wechselnder Normen bewahrt waren und von Zeit zu Zeit einen leisen Ruf aussandten.
Glamour hatte ohne es zu ahnen diesen Ruf beantwortet, und nichts würde das millionenfache Echo aufhalten können.
* * *
Während Melanie im Mermaid immer noch ungläubig auf den dunklen Bildschirm starrte, lag George Glamour in der schaumgefüllten Badewanne von Erica Young, der Moderatorin von der roten Plüschcouch, neben sich auf einem Silbertablett eine soeben entkorkte Champagnerflasche und zwei gefüllte Gläser, von deren Boden unablässig feine Schnüre goldener Perlen zur Oberfläche aufstiegen. Er hatte die Augen geschlossen und summte leise eine Passage aus La Traviata vor sich hin, in der rechten Hand hielt er ein dunkles Zigarillo, von dem sich kräuselnde Rauchfahnen aufstiegen.
„ Sorry, George, aber das war das Studio, ich musste einfach drangehen!“
Erica zuckte bedauernd die Schultern, als sie aus dem Wohnzimmer zurückkam.
„ Und sie wollen, dass ich sofort komme, da ist irgendetwas schief gelaufen mit einem schlecht geschnittenen Beitrag.“
Sie hätte ihrem Boss am liebsten die Kehle durchgeschnitten. Drei Wochen lang hatte sie auf diesen einen Moment hingearbeitet, hatte sich gegen ihren heftigen inneren Widerstand mit Pralinen, Sahnesoßen und Pasta ein paar Kilo angezüchtet, um vor Georges Augen bestehen zu können, um ihm zu gefallen. Und gerade als sie mit sorgfältig vor dem Spiegel einstudierten Bewegungen die letzte Hülle abwerfen wollte, um zu Glamour in die Wanne zu steigen, war der Anruf aus dem Studio gekommen.
Glamour beobachtete sie aus halb geschlossenen Augen. Wenn er genauer hinsah, war er froh, dass die letzte Hülle nicht gefallen war. Deutlich zeichneten sich durch die hauchdünne Seide von Ericas lachsfarbenem kurzem Kimono ein wenn auch nur kleiner, so doch erkennbarer Wulst um die Taille und zwei kissenartige Erhebungen über den Hüften ab. Egal, was Glamour seit Wochen überall verkündete – er hasste Fettpolster, sie widerten ihn an, und Frauenkörper, an denen seine Hand bei ihrem Erkundungsgang nicht straffe Rundungen und glatte Haut vorfand, sondern bei denen die tastenden Finger in weichen Stellen und zwischen wabbeligen Ringen versanken wie in einem Marshmallow, verursachten ihm Brechreiz.
Er hätte Erica ja jetzt eigentlich eine gelungene Vorstellung darüber abgeben müssen, wie wunderbar er ihre Fettansammlungen fand. Dabei hatte er sich nur auf diese Affäre eingelassen, weil er sich davon weitere Einladungen zu Talkshows versprach, denn Erica hatte hervorragende Kontakte zu vielen bedeutenden Fernsehmachern und konnte ihm weitere wichtige Türen zur ersten Million öffnen.
Wie gut, dass er wie immer in solchen Fällen schon vorher geklärt hatte, dass es ihm nur um, wie er es nannte, erotischen Austausch ging und er an einer länger dauernden Beziehung nicht interessiert war. Früher hatte er gedacht, es sei klug, ganz einfach immer die Wahrheit zu sagen, nämlich dass er zu einer wirklichen Beziehung nicht fähig sei, aber er musste sehr schnell feststellen, dass das bei Frauen einen fatalen
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