Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
Erica!«
Glamour winkte ihr von der Badewanne aus mit der die Vertrauenswürdigkeit eines Edelmannes vermittelnden Miene Lancelot zu, als sie im Wohnzimmer nach ihrer Handtasche griff. Erica winkte zurück, warf ihm noch ein Küsschen zu und verließ eilig das Appartement.
Er zündete sich noch ein Zigarillo an, nahm einen Schluck Champagner und ließ sich entspannt in die duftenden Schaumberge zurücksinken. Seine Gedanken schweiften zu all den wunderbaren Scheinchen, die in atemberaubender Geschwindigkeit auf seinem Konto eingingen, und natürlich dahin, was man alles damit anfangen konnte. Er hatte gehört, dass direkt am Fluss ein wunderschönes großes Loft zum Verkauf stand. Gleich morgen würde er sich einen Überblick über den aktuellen Kontostand verschaffen und danach Kontakt mit dem Makler aufnehmen.
Im Grunde hatte er immer noch nicht so recht begriffen, was da eigentlich geschah. Er hatte doch der gelangweilten New Yorker Oberschicht einfach nur einen kleinen Schock versetzen wollen, damit sie wieder einmal etwas hatten, über das sie sich die von Kaviar, Champagner, Wachteleiern und Perlhuhnbrüstchen gelangweilten Münder zerreißen konnten. Er hatte erwartet, dass sie nach kurzer Irritation Lachanfälle bekamen bei der Vorstellung, dass Glamour ihnen zweibeinige Miss Piggys als neues Schönheitsideal präsentierte. Stattdessen war das Unfassbare geschehen: Man hatte ihm geglaubt! Man hatte seine im Grunde dreiste Ironie für den Geniestreich eines Pionierdenkers gehalten und war begeistert in dieses Boot gesprungen. Es war, als habe eine konturenlose Masse mit angehaltenem Atem darauf gewartet, dass jemand wie er daher käme und sie formte, ihr vorgab, was sie schön und was sie hässlich zu finden habe, und dass das bisher Abgelehnte und Verachtete das in Wirklichkeit Schöne und Erstrebenswerte sei. Hätte Glamour hier nicht seinem allgegenwärtigen Hang zur Bequemlichkeit nachgegeben und sich etwas weniger dem Champagner und etwas mehr dem Phänomen gewidmet, das er auslöste, dann wäre ihm zweifellos aufgegangen, dass es nur durch die besondere Begabung ausgelöst worden sein konnte, die er als Siebenjähriger zufällig bei sich entdeckt und dann bis zur Perfektion vervollkommnet hatte: George Glamour besaß fast magisch zu nennende hypnotische Kräfte. Nachdem er in einem Zirkus den beeindruckenden Auftritt eines Hypnotiseurs gesehen hatte, der nacheinander verschiedene Tiere dazu brachte, sich wie ihre jeweiligen evolutionären Nachfolger zu verhalten, schlich der kleine George sich am nächsten Morgen in den nachbarlichen Hühnerstall. Dort starrte er dem als höchst aggressiv bekannten Hahn so lange unnachgiebig in die unruhig hin und her zuckenden Knopfaugen, bis das Tier stocksteif paralysiert von der Hühnerleiter fiel und George nach dem Erwachen mied wie die Hühnerpest. Der kleine George experimentierte mit dem zwanzigköpfigen Hühnerharem weiter. Von da an überraschten die Hennen ihre Besitzer täglich mit neuen Merkwürdigkeiten: sie schnatterten, miauten oder bellten, weil George ihnen suggeriert hatte, sie seien Enten, Katzen oder Hunde. Aber gerade, als er ausprobieren wollte, ob er das Federvieh auch zum Sprechen bringen könnte, nahmen die Experimente ein jähes und unvorhergesehenes Ende, weil die Nachbarn ihre sich für Goldfische haltenden Hennen allesamt leblos zwischen den Seerosen ihres Zierteichs treibend vorfanden. In der Pubertät hatte er dann seine Experimente auf Menschen, genauer auf Mädchen, ausgedehnt und festgestellt, dass sie alles machten, was er wollte, wenn er seinen hypnotischen Blick anwandte.
Aber seine größte Fähigkeit sollte er erst durch die aktuellen Ereignisse entdecken: Am stärksten waren seine hypnotischen Kräfte, wenn sie von einer Kamera übertragen wurden. Sie wirkte wie ein Brennglas und bündelte die Wirkung seiner suggestiven Kraft um ein Vielfaches, sodass kein Fernsehzuschauer würde widerstehen können. Was auch immer er sagte - wer ihm im Fernseher in die Augen sah, verlor seine Objektivität und glaubte von nun an genau das, was Glamour ihm suggerierte. Dass ihm das eines unachtsamen Tages auf makabre Weise selbst zum Verhängnis werden sollte, war als Ausgleich für den Missbrauch seiner Fähigkeiten Ironie des Schicksals und nur gerecht.
Vorerst aber saß er noch vollkommen ahnungslos und leicht benebelt vom Champagner und den Aussichten auf die wundersame Geldvermehrung auf seinem Konto in Erica Youngs Badewanne und genoss
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