Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
zuletzt wirklich ekstatischen Sex gehabt? Auch das musste in einem anderen Leben gewesen sein. Jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern, und das fand sie bei ihrem Alter eigentlich doch bedenklich. Mit Thomas jedenfalls hatte sie bestenfalls das, was man Blümchensex nannte. Und das lag neben der abturnenden Tatsache, dass er nur dann eine Erektion bekam, wenn die Dagobert-Duck-Bettwäsche aufgezogen war und vom Vorspiel bis zum Höhepunkt ununterbrochen der Abba-Song „ Money, Money, Money “ lief, auch daran, dass sie beim Sex ständig damit beschäftigt war, in jeder nur denkbaren Position möglichst unauffällig zu überprüfen, welches Bild sie gerade abgab. Womöglich verdoppelte eine bestimmte Position ihr Kinn, oder ihr Bauch wurde unvorteilhaft hervorgequetscht, wenn sie auf Thomas saß, oder ihre nicht mehr ganz straffe Wangenpartie ließ ihr Gesicht dem einer Bulldogge ähneln, wenn sie sich über ihn beugte.
Und wie fühlte sie sich eigentlich, wenn sie vor ihren drei Salatblättern und ihrem Magerjoghurt saß, während ihre Freundin Marianne munter und ohne Schuldgefühle Vor-, Haupt- und Nachspeisen bestellte, von denen Melanie sich eine ganze Woche lang hätte ernähren können? Beschissen! Aber dafür fühlst du dich dann ja auch super, wenn man dir bewundernde Blicke nachwirft, du Schaf , sagte die kleine, mahnende Stimme in ihrem Innern.
„ Haut mit Charakter und Reife und ein üppiger Körper ohne Ecken und Kanten, die eine einfühlsame Männerhand an ihrer fantasievollen Erkundungsreise hindern könnten – das ist doch der Traum aller Männer, nicht wahr?“
Glamour richtete seinen hypnotischen Blick direkt ins Publikum, aus dem ihm viele fiebrige Augenpaare entgegenstarrten, und fast alle Männer nickten zustimmend. Dann wandte er sich direkt in die Kamera und sagte wieder „Nicht wahr?“, und das war dann offensichtlich das Zeichen für die folgende Werbeeinblendung. Als erstes wurde natürlich für Glamours „ Aging-Creme – für Haut mit Charakter “ geworben.
Melanie drückte die Stopp-Taste. Dieser D’Artagnan auf der roten Plüschcouch war zweifellos ein Könner im Führen des verbalen Degens. Jedenfalls war die Wirkung auf das wie auf die formenden Hände des Meisters wartende Modelliermasse vor ihm sitzende Publikum nicht zu übersehen. Den Millionen vor dem Bildschirm dürfte es nicht anders ergangen sein, und auch Melanie hatte Mühe, Glamours hypnotischen Blick und die tief eindringende Wirkung seiner Worte abzuschütteln. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt das Geheimnis von Glamours Wirkung gekannt, hätte sie jeden direkten Augenkontakt gemieden wie die Pest. Aber dazu war es längst zu spät. Sie war seinem Blick aus dem Video schutzlos ausgeliefert und würde schon am nächsten Morgen die Konsequenzen zu spüren bekommen.
Wie sie Mays Konzept entnommen hatte, würde Glamour der Stargast ihrer Auftaktsendung sein, die am kommenden Freitag startete. Sicher war, dass sie bereits nach diesem kurzen Auftritt gespannt darauf war, Glamour persönlich kennenzulernen, da das Phänomen der Massenbeeinflussung schon immer einen besonderen Reiz auf sie ausgeübt hatte, und Glamour schien ein Meister dieser Kunst zu sein. Aber genau so sicher war, dass sie diesen leicht durchschaubaren Manipulationsversuchen nicht erliegen würde. Sie würde ihrem mit der eisernen Disziplin katholischer Klosterzöglinge im Zaum gehaltenen Gewicht niemals erlauben, auch nur 100 Gramm höher zu klettern, und sie würde ganz gewiss allerfrühestens mit 90 wie ein plissierter Faltenrock vor den Spiegel treten, da war sie sich absolut sicher. Aber sie musste widerwillig zugeben, dass die Begriffe Mousse au Chocolat und ekstatischer Sex eine gewisse Sogwirkung besaßen und sie in einen Taumel unerfüllter Sehnsüchte und Träume hineinziehen konnten, wenn sie nicht höllisch aufpasste.
Was Melanie nicht ahnen konnte, war, dass sie bereits tief und unwiderstehlich in diesen Sog hineingezogen worden war und dass der kleinste Hauch von Widerstand von der in ihrem Unbewussten schlummernden Sehnsucht nach hemmungslosem Genießen und Genossenwerden, nach Rundem und Weichem und von archaischen Bildern des Urweiblichen hinweggefegt würde wie ein Staubkorn vom Flügelschlag eines Kolibris.
Jedenfalls hatte bei den New Yorkern nichts und niemand mehr das Hochsteigen der Welle aufhalten können, die Glamour bei den Massen in Gang gesetzt hatte. Die von ihrer bisherigen Rolle als Spottzielscheiben
Weitere Kostenlose Bücher