Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
gemeinsamen Drink an der Hotelbar lohnte.
Sie ließ möglichst unauffällig den Blick schweifen.
Ein älteres Ehepaar, sie ziemlich füllig um die Hüften, er mit einem Leibesumfang, dessen Umhüllung vermutlich Stoffbahnen von den Maßen eines mittleren Zirkuszeltes erforderte. Ein ziemlich pummeliger Teenager, deren Babyspeck sich vermutlich mit der Zeit unter den gestrengen Augen der figurbewussten Mutter und den mitleidigen Blicken der schlankeren Freundinnen auflösen würde. Eine langbeinige, langhaarige Gazelle, die allerdings um die Taille etwas rundlich war – vermutlich schwanger.
Am anderen Ende der Halle fielen Melanie drei Frauen auf, die ungefähr in ihrem Alter sein mussten. Alle drei in schicker Kleidung nach dem neuesten Trend und typisch amerikanisch mit sorgfältig polierten und lackierten künstlichen Fingernägeln und perfekt gestylten Frisuren. Vermutlich hatte die Fixierung dieser Haargebirge mehrere Flaschen Haarspray verschlungen. Was aber all drei ebenfalls gemeinsam hatten, verblüffte Melanie, denn es unterschied sich völlig von dem, was sie von ihren früheren Besuchen in New York kannte, wo jedes zweite Gesicht, das ihr entgegenkam, garantiert die charakteristische kleine Narbe hinter dem Ohr zierte, die bei Faceliftings entstand. Die Gesichter dieser jungen Frauen hier wirkten, als habe der liebe Gott an ihnen ausgiebig die Dehnfähigkeit der menschlichen Haut testen wollen: sie sahen, freundlich ausgedrückt, aus wie etwas ausgeleierte Socken. Und das im Land der Schönheitsoperationen, wo man inzwischen fast schon beim Metzger an der Ecke mal eben in der Mittagspause sein Gesicht liften lassen konnte!
Thomas hatte auch schon mehrmals versucht, sie zu einem solchen, wie er es nannte, völlig harmlosen kleinen Eingriff zu überreden, weil die Elastizität ihrer Haut seiner Meinung nach schon bedenklich nachließ. Sie reagierte zwar jedes Mal höchst empört, aber wenn sie ehrlich war, war sie es auch leid, beim Sex inzwischen auf die von ihr so heiß geliebte Reiterstellung zu verzichten, nur weil der Mann dann von unten einen ungünstigen Blick auf ihre langsam aber sicher erschlaffenden Gesichtszüge bekam. Aber viel schlimmer fand sie, was sich da unterhalb ihres Gott sei Dank vermutlich frühestens in zwei Jahren nach Straffung oder Silikoneinlagen verlangenden Busens wölbte: ein zwar noch kleiner, aber doch ein wenig wabbeliger Bauch, der definitiv danach schrie, endlich per Absaugung von unnötigen Fettzellen befreit zu werden.
Sie hasste den Anblick dieser weichen, nachgiebigen Masse, die sich dem härtesten Bauchtraining trotzend exakt an der Stelle befand, wo eine Frau laut gängiger Frauenzeitschriften und dem Playboy nur straffe, glatte Haut zu präsentieren hatte, egal wie viele Kinder bereits darunter herangewachsen waren. Sie hatte von Freundinnen schon diverse Adressen von Schönheitschirurgen gesammelt, und wenn sie aus New York zurück war, würde sie sich von dieser peinlichen Fettzellenanhäufung befreien lassen, damit sie sich endlich wieder als richtige Frau fühlen konnte.
Zwei Sitzgruppen weiter saß eine Frau mit hautenger goldgrüner Stretchhose und bauchfreiem, wild gemustertem Top, beides identifizierte Melanie mit unbestechlichem Labelblick als Dolce&Gabbana. Ein todschickes Outfit, ohne Frage - jedenfalls auf einem gertenschlanken Körper, den die Frau aber leider nicht besaß. Zwischen dem engen Bund der Hose und dem unterhalb des Busens endenden Top quoll ein auch mit einer Menge gutem Willen nicht zu übersehender Ring aus weichem Fleisch hervor, der jedes Mal bedrohliche Ausmaße annahm, wenn die Frau sich über ihren Drink beugte, um mit betont gespitzten Lippen am Strohhalm zu saugen.
Aber das Unglaublichste war, dass diese fleischgewordene Beleidigung für Dolce&Gabbana von einem außerordentlich gut aussehenden Mann, den Melanie sich gerade als Opfer für ihren letzten Drink heute Abend ausgesucht hatte, einen unmöglich anders denn als Kompliment zu deutenden Blick zugeworfen bekam. Melanie kniff sich in den Arm, weil sie nicht sicher war, ob sie nicht vielleicht doch träumte. Es tat weh. Sie war wach.
Sie selbst lebte, seit sie denken konnte, mit chronisch eingezogenem Bauch. Noch nicht einmal dann, wenn sie mit sich alleine war, gaben die Bauchmuskeln ihre Bemühungen, straff zu wirken, auf – die Kontraktion war in Fleisch und Blut übergegangen.
Und diese Frau hier wagte es nicht nur, den Beweis ihrer oralen Fixierung ganz offen
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