Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Zieherpodest brachte einen schier um. Das war was für Caspars Bruder Clemens, der Gardist war und auch dann stramm stand, wenn er zu Weihnachten der Mutter beim Kohlschnippeln half. Caspar durfte nicht zum Militär gehen. Damastweber waren vom Militärdienst freigestellt. Kein Ausweg aus seiner Misere. Vater sagte immer, der liebe Herrgott hätte bei Clemens’ Geburt vergessen, dessen Blut mit Faserstaub zu versetzen und habe deshalb Caspar gleich hinterhergeschickt. O ja, in Caspars Blut war jede Menge Faserstaub, in seinen Lungen auch.
Vater gab vor, wieder gesund zu sein, aber Caspar wusste es besser und Mutters besorgte Blicke sprachen Bände. Die Mädchen gaben sich Mühe, ihre Hausarbeiten ordentlich zu machen, aber das Weben konnten sie Vater nicht abnehmen, weil nur er der Meister war und nur der Meister diese Tücher für den Ostritzer Stadtrichter weben durfte. Viel zu oft mussten sie Schneeschippen für die Besseren oder beim Holzrücken in den Bergen helfen.
Irgendwas war doch immer. Zum Beispiel die Treuentzien, die sich in sein Leben geschlichen hatte, ohne zu fragen. Und warum Caspar ständig an sie denken musste, begriff er auch nicht, wahrscheinlich, weil sie stets das Thema war, sobald man am Tisch zum Essen saß: „Bloß gut, die Treuentzien hat uns die Servietten nachts machen lassen.“ – „Wie gut, dass die Treuentzien so kulant war.“ – „Die Treuentzien hätte uns ja nicht den vollen Absatz zu zahlen brauchen.“ Luisa Treuentzien hier, Luisa Treuentzien da. Es ärgerte ihn, er wollte keinen von den feinen Leuten an seinem Tische sitzen haben!
Luisa hatte das Gefühl, dass sich die Zeit zwischen den Eisschollen der Mandau verkantete. Der Winter, was kaum möglich schien, wurde noch härter und zog sich hin. Wenn sie schon mal das Haus verließ, trug sie ihren neuen Lammfellmantel mit schneeweißem Besatz und fühlte sich wie die russische Zarin höchstpersönlich. Aber sie ging nur aus dem Hause, wenn es unbedingt nötig war: in die Kirche am Sonntag oder zu ihrer Freundin Christiana Haller oder, was leider den Rhythmus eines jeden Tages bestimmte, wenn die Natur nach ihrem kleinen Hund Fleck rief.
Am 24. Januar, als ihr Vater aus Dresden zurückkehrte, ließ der Frost zumindest so weit nach, dass die Eisdecke der Mandau riss. Ihr Vater war heimgekehrt und jetzt konnte Luisa sich wieder etwas zurücklehnen und war von der großen Verantwortung im Geschäft entlastet. Er war also zurück: mit nicht halb so vielen Damastaufträgen, wie sie gehofft hatten. Seine Laune war nicht die beste und verdüsterte sich nur noch mehr, als er von Christianas Ehemann, von Karl Gotthelf Haller, der das „Co.“ in Liebig & Co. war, auf eine Musterzeichnung angesprochen wurde, die sich noch immer im Besitz der Häusler Weber befand. Das gab mächtigen Ärger. Aber Luisa hatte nicht mutwillig die Zeichnung vergessen, nur nebenbei. Zuerst hatte sie eine der Webertöchter vor dem Gottesdienst abgefangen und sie daran erinnert, und dann, weil die Patrone nicht gebracht worden war, hatte Luisa den Mut verloren, den Webers hinterherzurennen.
„Du lässt dich von den Webern zum Narren halten!“ Ihr Vater war gereizt. Sie waren dabei, die neuen Aufträge zu sichten und eine erste Aufteilung unter den Webern zu notieren, ein Plan, der meistens von den Verlegern Liebig & Co. umgeworfen wurde, nur um später auf die Vorschläge ihres Vaters zurückzukommen, weil er wie immer den besseren Riecher gehabt hatte.
„Ich kann doch nicht ahnen, dass sie mein Wort mit Füßen treten, Papa! ‚Verleger-Wort ist Gottes Wort‘, hast du immer gesagt.“ Es waren schöne Musterzeichnungen dabei. Wunderbare Überwürfe und aufwändige Stoffe für Möbelbezüge und Schabracken. Luisa träumte davon, dereinst ihr eigenes Haus mit derartigen Stoffen ausstatten zu können.
„Die meisten halten es auch so, aber die Mitglieder der Familie Weber sind sture Leute und sie sind eingebildet! Die nutzen deine weibliche Gutmütigkeit schamlos aus!“
Sogar ein Muster für feinen Musselin entdeckte sie. Sie war jetzt schon gespannt, wer diese Arbeit ausführen würde und wie das feine, hauchdünne einbindige Gewebe in ein paar Monaten aussehen würde, wenn es fertig war. Erkältungsstoff, dachte sie und lächelte. Wenn sie im Sommer heiraten sollte, wollte sie sich in Musselin kleiden, sonst nicht. „Wir müssen mit so schlechter Konjunktur zurechtkommen, Luisa, da fehlt uns gerade noch ein Weber, der eine
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