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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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die ihr dieses Gefühl hilfloser Überwältigung wie schon am Abend zuvor gaben. Zehn makellose Servietten: blütenweiß, rein und unschuldig. Zu schade, um sie an schwülstige Lippen, besudelt von Bratenfett und Schokoladensoße, zu führen. Ihr Fadenzähler offenbarte ihr einwandfreie Ware. Luisa hatte schon viele Tuchbahnen gesehen, auf denen die Stücke verschiedener nicht hätten sein können, weil der Weber je nach Tagesform den Schussfaden energischer oder kraftloser eingetragen hatte und das Muster in dem einen Tuch gedrungen, im anderen gestreckt wirkte. Bei der Ware eines Friedrich Weber jedoch waren solche Unterschiede nie vorgekommen. Die Dichte der Bindung war von der ersten bis zur zehnten Serviette identisch. Kein Fadenbruch, kein Fehler im Muster, kein stehen gelassener Trittfehler. Als habe der liebe Herrgott die erste Serviette wie durch ein Wunder vervielfältigt – wie von Maschinen gemacht. Ein absurder Gedanke!
    „Na, schön, Herr Weber“, Luisa mied den Blick in seine blutunterlaufenen Augen und widmete ihre Konzentration den Auflagenbüchern, die eigentlich schon abgezeichnet waren. Sie machte einen fetten Strich unter „Weber“. „Ich muss Ihnen keinen Vortrag in Sachen Pünktlichkeit halten, oder?“
    Caspar Weber sparte sich eine Antwort. Er hatte inzwischen die Servietten in raue, kratzige Lagerjute verpackt. Luisa entnahm derweil dem Eisenschrank hinter dem Schreibpult die blecherne Kasse. Stumm zählte sie die volle Summe ab, die eine makellose Arbeit verdiente. Sie türmte die Schillinge, Groschen und Pfennige übereinander und schob mit kurzen Bewegungen die Türmchen zur anderen Tischseite hinüber.
    Die Weber bekamen zwanzig Taler für zehn Servietten. Die Treuentziens bekamen zwanzig Taler für eine Serviette. An diesem frühen Morgen ging ein Warenwert von zweihundert Talern über den Tisch, worüber Caspar Weber und die anderen Damastweber nur spekulieren mochten. Er und seine Sippe bekamen für die monatelange Knochenarbeit ein Zehntel des Warenwertes ausgezahlt. Zwanzig Taler für einen Winter harter Arbeit. Sie wurde vom Mann keines Blickes gewürdigt, während der die Münzen einstrich, um sie in seiner Rocktasche verschwinden zu lassen.
    „Dann schauen wir mal.“ Das sagte sie nur, um irgendetwas zu sagen. Sie war kein Mensch, der mit Stille gut zurechtkam. Sie zog aus dem Regal hinter sich eine Papierrolle. Der neue Auftrag. Caspar Weber in seinem meterlangen Wollschal, den liederlich im Gesicht hängenden Haarsträhnen, den Augenringen – Zeugen einer durchgearbeiteten Nacht – und der Schnupfnase machte nicht den Eindruck, auf einen Auftrag verzichten zu können.
    Die Musterzeichnung, die auch Patrone genannt wurde, bestand aus mehreren Papierbögen. Caspar Weber beugte sich über die in kleine Quadrate gerasterte Portraitzeichnung.
    „Der Ostritzer Stadtrichter“, erklärte sie überflüssigerweise. Es interessierte einen Damastweber sicherlich nicht, wessen Gesicht er in eine Atlasbindung webte, sondern wie viel Zeit er zur Verfügung hatte. Luisa gab vor, genauso wie der Mann die Patrone zu studieren, tatsächlich aber wanderten ihre Augen immer wieder über sein Gesicht, das sie faszinierte. Warum, hätte sie nicht sagen können. Sie erkannte den kleinen silbernen Ohrring in seinem linken Ohr. Die Weber bekamen nach bestandener Lehrzeit einen Ohrring, und nur, wenn sie sich fehlerhaft betrugen, wurde er ihnen herausgerissen. Schlitzohr. Sie schauderte. Aber er war keins. Er hatte ehrliche Augen und die irrten auf der Musterzeichnung umher, als läsen sie in einem Buch. Seine Hände ruhten rechts und links neben der Zeichnung und seine Finger tippten auf der Tischplatte zu einem Takt oder einer Melodie, die einzig in seinem Kopf existierte. Unerwartet große Ehrfurcht vor Caspar Weber erfüllte Luisa.
    „Gütestufe?“
    Eifrig blätterte sie im Auflagenbuch, um ihm antworten zu können. Sie hatte das so oft bei ihrem Vater beobachtet, aber Caspar Weber brachte sie durcheinander. Wieso? Er war nur einer von Hunderten, mit denen sie zu tun hatte, aber der Einzige, mit dem sie je allein in einem Raum gewesen war. Hunderte, für deren Leben sie sich nie interessiert hatte. In diesem Jahr klapperten am Ufer der Mandau neunhundert Damastzugwebstühle, lebten im Dorf zwölf Webstuhlbauer, fünf Blattbinder, fünf Mustermaler, neun Mustermacher, zweihundertfünf Damastwebermeister, achthundertneunundvierzig Damastwebergesellen, dreiundneunzig Musterzieher, sechzig

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