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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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Co. erzählte. Vater war mürrisch, weil er sich Gedanken über den Grund der Vorladung machte. Seine Mutter wuselte nervös durch die Gegend, weil sie sich die schlimmsten Hiobsbotschaften ausdachte, und gab den Mädchen die unmöglichsten Aufgaben. Und Caspar war schlecht gelaunt, weil er sich nicht aufs Einlesen des Ostritzer Musters konzentrieren konnte. Einmal im Leben allein in einem Zimmer sein! War er jemals allein in einem Zimmer gewesen? Abgesehen von den paar Minuten, die er hin und wieder länger im Bett liegen blieb, wenn Balthasar schon auf war. Allein? Wie fühlte sich allein wohl an? Vielleicht war es ganz furchtbar. Er nahm sich vor, in diesem Jahr ab und zu allein und für sich zu sein. Das Jahr war jung, noch nicht Februar, für Vorsätze war es nicht zu spät.
    „Himmelsakra!“ Caspars Art war es nicht zu fluchen, aber Sophie war mit ihrem Umhang über die Patrone gefegt und hatte seine Zählleiste durcheinandergebracht. „Pass doch auf!“
    „Bin schon weg“, trällerte seine kleine Schwester, schnappte sich ein Körbchen aus dem Regal und schlug die Tür hinter sich zu. Am Stubentisch diskutierten seine Eltern haltlos über die Vorladung. Balthasar auf dem Zieherpodest wartete gelangweilt, dass Caspar ihm die nächste Linie ansagte, was Caspar aber nicht tat. Er horchte auf Sophies Schritte durch den Flur, das Schlagen der Haustür, Kinderstimmen draußen und Lachen, dann ein Kinderlied: „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“.
    „Ist heut Vogelhochzeit?“, fragte Caspar ungläubig. Wo war sein Zeitgefühl geblieben?
    „Guten Morgen.“ Balthasar grinste und schaute jetzt aus dem Fenster den Kindern hinterher, die sich, ausstaffiert mit ihren Körbchen, auf den Weg durchs Dorf machten, um von den Reichen Zuckerzeug zu erbitten.
    „Ich will nicht, dass sie betteln geht.“
    „Hör doch auf, Caspar.“ Mutters Finger glänzten von Gertrudes Innereien, Leber, Nierchen, Herz und Lunge auf dem einen Teller, Därme auf dem anderen. „Du warst auch zampern, als du klein warst. Das hat dir großen Spaß gemacht, und es hat mit Betteln gar nichts zu tun! Außerdem hat sich Sophie nur so trösten lassen.“ Sie hieb das Messer in Gertrude, um die Galle sauber herauszutrennen. Dann deutete sie mit dem Messer direkt auf Caspar: „Nun lass ihr die Freude ... Und dass du ihr, wenn sie heimkommt, nicht wieder madig machst, was sie von den Feinen erzählen will!“
    „Wahrscheinlich der einzige Tag im Jahr, an dem die Feinen ihre Türen für unsereinen aufmachen.“ Das kam mürrisch von seinem Vater, und ein wenig fügte er hinzu: „Außerdem braucht Mariechen ein paar neue Klatschgeschichten.“ Wie ein Junge kniff Vater der Mutter in die Wange.
    Caspar verblüffte es wieder einmal, dass sich seine Eltern nach so vielen Jahren und Entbehrungen immer noch liebten. Die Stimmung hellte sich auf, weil seine Herrschaften jetzt mit Herzensblut tratschten. Caspar wusste, dass sein Vater nur um der Mutter willen mit erzählte. Aber er war froh, dass sie sich von der bevorstehenden Vorladung ablenkten.
     
    Irgendwann fanden er und Balthasar ihren Rhythmus und kamen ein gutes Stück voran. Caspar ertappte sich dabei, wie seine Gedanken immer wieder zum gestrigen Abend schwammen. Er hasste Luisa Treuentzien, oder? Er war sich nicht sicher. Sie war ja ganz süß – rein äußerlich betrachtet. Unter Luisa Treuentziens Hut lugten immer diese fransigen dunkelbraunen, über den Augen kurz geschnittenen Haare hervor, was ihr etwas Burschikoses verlieh und womit sie allein dastand in der Schar an Fräuleins. Dieses „Treuentzien“, dieses steife Geschäftsgehabe, das sich auf ihrem ernsten Gesicht schon beinahe als Traurigkeit widerspiegelte, als ob sie tagein, tagaus daran scheiterte, den ersehnten und nie geborenen Treuentzien-Sohn zu geben. Caspar konnte sich in diesem Moment nicht daran erinnern, Luisa Treuentzien jemals lächeln oder gar lachen gesehen zu haben. Sie begegnete ihrem Gegenüber immer mit solch hochgeschlossener Wachsamkeit. Und selbst, wenn sie vertraulich mit einem sprach, blieb sie immer auf Abstand.
    Sie war sonderbar in jeder Hinsicht. Und dann diese Augen! Er hatte noch nicht herausgefunden, welche Augenfarbe sie hatte, weil ihre Augen immer anders leuchteten. Je nachdem, was sie anhatte oder ob sie einander drinnen oder draußen begegneten. Sie hatte schöne Augen. Wie dem auch sei. Sie war auch nur eine Reiche. Er hasste sie nicht. Sie war blöd, fertig. Hass fühlte sich schlimm

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