Die Tuchhaendlerin von Koeln
mehr.
Hast du eine Vorstellung, wieviel das ist, fünfunddreißig Tonnen Silber? Sagen wir einmal, ein starker Mann kann fünfzig Pfund Gewicht tragen - nicht allzuweit und allzulange, natürlich. Dann brauchst du vierzehnhundert Männer, um das Silber davonzutragen. Eine ganz und gar
unvorstellbare Summe Geld. Sie entspricht, wenn ich meine Rechenkunst noch nicht ganz verlernt habe, ungefähr hundertvierzigtausend Mark Silber. Zum Vergleich: Erzbischof Philipp hat eine Liste über hundertdrei Städte und Ländereien aufgestellt, die er gekauft und seinem Erzbistum zugeschlagen hat; und er hat für alle zusammen den Wert von viertausendsiebenhundert Mark Silber bezahlt.
Du schüttelst den Kopf? Ja, ich sehe schon, diese Rechnungen kannst du nicht nachvollziehen. Aber ich habe als Kind bei Großvater gelernt, rasch im Kopf große Summen auszurechnen, und ich bin stolz darauf, daß ich es noch nicht vergessen habe. Wenn du willst, übe ich mit dir so lange, bis du es auch kannst.
Und wofür sollte eigentlich dieses unvorstellbar riesige Lösegeld gezahlt werden? Was hat König Richard denn verbrochen, außer daß er sich gern unbeliebt machte? Das Unrecht der Fürsten ist gewaltig: das des Herzogs Leopold, des Kaisers, des französischen Königs, die alle nach dem geldbringenden Gefangenen geiferten.
Ich soll mich nicht so aufregen, sagst du? Doch, ich rege mich darüber auf, auch nach so vielen Jahren noch. Einen Pilger auf seinem Weg abfangen und ihm dann die Daumenschrauben anziehen - das ist doch wohl das verbrecherische Handeln von Wegelagerern und Räubern und gehört sich nicht für Fürsten.
Aber so geschah es nun einmal. Richard hatte den Vertrag unterschrieben, und die zweihundert Geiseln waren gestellt. Und nun kommt Königin Alienor ins Spiel. Du wunderst dich? Ja, sie lebte noch. Zwei Ehen, zwölf Geburten und den Tod von vier ihrer Kinder, sechzehn Jahre Gefangenschaft - das alles hatte sie überstanden, ohne ihren Charme, ihre Klugheit und ihre Stärke zu verlieren. Keinesfalls würde sie zulassen, daß ihr Richard, ihr Erbe in Aquitanien, ihr
Lieblingssohn in einem Kerker verrotten würde. Sie machte sich also auf, zog durch ihre Lande, bat ihre Untertanen, was sie nur aufbringen konnten für die Freiheit des Königs zu opfern. Sie verkaufte, was sie hatte: Schmuck, Silbergeschirr, Pferde, auch Ländereien. Ihr jüngster Sohn Johann versuchte, sie daran zu hindern. Er hatte nicht das geringste Interesse daran, daß das angevinische Reich völlig ausblutete, um einem Mann die Freiheit wiederzugeben, den Johann sehr gern hinter Schloß und Riegel sah. Aber Alienor setzte sich durch. Sie bat, sie bedrängte, sie schacherte; ein Kaufmann kann es nicht besser. Ich habe sie ja erlebt, damals in London. Und schließlich hatte sie den größten Teil des Geldes zusammen.
1194
D ann machte sie sich auf den Weg. Sie selbst wollte Richard die Nachricht überbringen, seine Freilassung erleben und ihn gleich mitnehmen. Sie sehnte sich sehr nach ihm, denn sie hatte ihn drei Jahre lang nicht gesehen. Und weißt du, welchen Weg sie nahm? Sie kam über Köln! Am Dreikönigstag des Jahres 1194 traf die Flotte aus England ein. Halb Köln stand am Ufer und beobachtete, wie die Treidelpferde die Schiffe über den Strom zogen. Tief lagen sie im Wasser, alle Welt wußte ja, daß sie schwer vom Silber waren. Darum auch die schwerbewaffneten Soldaten auf vier weiteren Schiffen. So hatten keine Piraten auch nur daran denken können, die einzigartige Beute zu erobern.
Auch ich stand in der Menge und sah, wie Königin Alienor ihr Schiff verließ. Sie hatte sich sorgfältig zurechtgemacht, das längst graue Haar war nicht unter einer Haube verborgen, sondern nur von einem durchsichtigen Schleier bedeckt, auch eine Krone zierte ihr Haupt. Natürlich war
sie inzwischen alt geworden, aber ich fand sie noch immer schön. Sie hielt sich sehr aufrecht, lächelte und grüßte in die Menge, die ihr zujubelte. Erzbischof Adolf, gerade gewählt, aber noch nicht inthronisiert, trat auf sie zu und begrüßte sie ebenso höfisch wie ehrerbietig. Er reichte ihr den Arm und führte sie die paar Schritte zu der wartenden Sänfte. Sie bestieg sie mit der Leichtigkeit und Anmut einer sehr viel jüngeren Frau, schob sofort die Vorhänge zurück und winkte lächelnd nach allen Seiten. Ich stand in der ersten Reihe hinter den absperrenden Soldaten und konnte sie sehr gut sehen. Gerne würde ich jetzt erzählen, daß sie mich sah und
Weitere Kostenlose Bücher