Die Tuchhaendlerin von Koeln
alle außer Atem waren. Dann wandte er sich zu mir.
»Hallo, mein kleiner Schiffsjunge. Mir scheint, du bist inzwischen Kapitän? Eine ganze Mannschaft hast du ja inzwischen zusammen«, sagte er und lachte mich an. Ich strahlte zurück und konnte mich nicht an ihm satt sehen.
»Und wie heißt dieser junge Mann, der in meiner Abwesenheit mein Bett belegt hat?« fragte Gottschalk mit gespielter Strenge. Darüber wollten sich Richolf und Gunther fast totlachen.
»Aber Vater, das ist doch unser Bruder Gerhard«, quiekte Richolf.
»So, das ist also Gerhard. Und wo sind die anderen?«
Ich sah ihn erstaunt an.
»Welche anderen? Was meinst du?«
»Ja, willst du sagen, du hättest dieses Mal nur ein Kind ausgebrütet, nur ein einziges? Also weißt du, Sophia, so dauert es aber lange, bis das Dutzend voll ist!«
Darüber mußte ich so lachen, daß Gerhard indigniert zu zappeln anfing.
Nun kam mir Megintrud zur Hilfe, nahm mir den Kleinen zum Wickeln ab und führte die beiden großen Söhne hinaus, obwohl sie lautstark protestierten. Gottschalk nutzte die Gelegenheit, schloß mich heftig in die Arme und küßte mich leidenschaftlich. Nie werde ich vergessen, wie glücklich ich in diesem Augenblick war. Aber dann packte er mich bei den Schultern und schob mich von sich weg.
»Hör zu, Sophia«, sagte er, »ich habe noch jemand mitgebracht. Du wirst nicht erraten, wer es ist.«
Ich wollte auch nicht raten. Ich wollte nur in seinem Arm sein.
Aber Gottschalk schaute mich ernst an.
»Geh hinunter, Sophia, und begrüße unsere Gäste«, sagte er.
Gehorsam fuhr ich in Hemd und Rock, verzichtete in der Eile auf die Strümpfe und lief barfuß die Stiege hinab.
Die Tür zum Laden stand offen. Auf der kleinen Bank, wo Kunden es sich für einen Schwatz gemütlich machen konnten, saßen zwei Männer, ein sehr alter und ein junger. Sie blickten zu mir auf, als ich die Treppe heruntereilte. Ich blieb stehen. Wer mochte das sein? Zögernd sagte ich:
»Gott zum Gruß, und willkommen in diesem Haus.«
Der alte Mann wandte mir sein Gesicht zu. Es durchfuhr mich heiß und kalt. Er hatte nur ein Auge, die Höhle des anderen war leer. Seine Haare waren weiß. Ob ich ihn nicht doch schon einmal gesehen hatte?
»Sophia, meine liebe Nichte. Ich hätte nicht gedacht, daß ich dich in diesem Leben einmal wiedersehen könnte.«
Ich trat einen Schritt näher. Dann begriff ich.
»Onkel Johannes?« flüsterte ich.
Er nickte. Mein Onkel Johannes? Vor Jahren verschwunden und im Stillen schon totgeglaubt?
Ich brach in Tränen aus. Ich versuchte, mich zusammenzureißen, aber es gelang mir nicht. Mein Onkel Johannes, den ich als Mann in den allerbesten Jahren zuletzt gesehen hatte, schmuck und lachend. Er hatte mir eine kostbare Puppe aus Byzanz mitgebracht, die ich ehrfürchtig bestaunt und wie meinen Augapfel gehütet hatte. Und nun: ein alter Mann, weißhaarig, einäugig. Was hatte man ihm nur angetan? Ich umarmte ihn und drückte ihn an mich, als könnte ich damit irgendetwas wiedergutmachen. Dann wandte ich mich dem jungen Mann zu.
»Bist du etwa mein Vetter Apollonius?«
Der junge Mann stand auf, legte die Hand auf sein Herz und verneigte sich höflich vor mir. Er war kaum größer als ich und zierlich. Ich erinnerte mich, daß er jünger sein mußte als ich.
Ich umarmte auch ihn und stammelte ein paar Begrüßungsworte. Mir lagen tausend Fragen auf der Zunge, aber mir war klar, daß jetzt zuallererst etwas Vernünftiges auf den Tisch kommen mußte. Also überließ ich Megintrud meine drei Söhne, ließ die Magd Wasser aufsetzen, die Köchin Brei kochen, und den Knecht den Barbier holen. Während alles vorbereitet wurde, lief ich selbst zum Haus meiner Eltern. Ich fand sie gerade beim Frühstück.
»Ich habe eine riesige Überraschung«, sagte ich. »Gottschalk ist zurück! Aber das Wichtigste sage ich euch noch nicht. Kommt zu uns und seht selbst. Vater, wenn du für heute Pläne hattest, dann sage sie alle ab. Nein, ich verrate noch nichts.«
Und schon war ich wieder fort, ohne die Fragen meiner Eltern abzuwarten.
Neugierig folgten sie mir auf dem Fuße und trafen bei uns auf den Barbier, der gerade sein Messer wetzte und Schaum schlug. Ungläubig starrte mein Vater auf Johannes, eilte dann aber auf ihn zu und schloß ihn stürmisch in die Arme.
»Ich habe nicht mehr geglaubt, daß meine Augen dich noch einmal wiedersehen, Bruder«, rief er. Dann wollte er den Neffen mit der gleichen Heftigkeit begrüßen, aber ich hielt
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