Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
meiner Schultern an jenen vorbei, die sich hinter Master Shelton befanden. Der Haushofmeister warf den Kopf herum, deutlich zu erkennen an der hervortretenden Narbe quer über seinem Gesicht.
Wut blitzte in seinen Augen auf, als er erkannte, dass der Wächter es auf ihn abgesehen hatte. Ich hatte schon einen Warnschrei auf den Lippen, als mit einem Mal ein Ruck durch die Menge ging und ich ihn aus den Augen verlor. Das Fallgitter war aufgestemmt worden. Und damit brach endgültig das Chaos aus. Bei dem verzweifelten Versuch, unter den Spitzen hindurchzukriechen, rissen sich die Vordersten Hände und Knie auf. Denn sie wussten: Wenn sie blieben, wurden sie verhaftet oder zerquetscht.
Master Shelton war verschwunden. Um nicht von der Masse zu Boden gestoßen zu werden, musste ich mich mit Händen und Füßen wehren. Ich stolperte über die regungslosen Körper derer, die gestürzt und zertrampelt worden waren. Irgendwie geriet ich mit unzähligen anderen auf einen Landungssteg. Dort blickte ich mich erneut um.
Nirgends ein Zeichen von ihm.
Hinter meinem Rücken hörte ich die berittenen Wächter und die mit Spießen bewaffneten Fußsoldaten näher rücken. In nackter Todesangst sprangen viele der Männer um mich herum in den Fluss. Lieber riskierten sie, von der Strömung ins Meer gesogen zu werden, als diesem Gemetzel zum Opfer zu fallen.
»Nein!«, brüllte ich, selbst nach vorn drängend. »Nein!«
Immer noch brüllend, stürzte ich mich in die von der Flut angeschwollene Themse.
Stunden später wankte ich tropfnass und nach Abwässern stinkend über das Feld vor dem Stadttor. Über mir stand der Himmel, von Freudenfeuern erhellt, in Flammen. Hinter mir dröhnte ganz London von Glockenläuten.
Ich hatte es geschafft, die tiefen Stellen des Stromes zu vermeiden, wo mächtige Strudel die Oberfläche aufwühlten, und mich zu einigen halb verfallenen Steinstufen am Südufer zu retten. Erspart geblieben war mir der Anblick all derer, die von den wirbelnden Wassermassen in die Tiefe gezogen worden waren, und auch der von Männern, die sich zurück auf den Steg gerettet hatten, nur um den dort wartenden Soldaten in die Hände zu fallen. Wie viele Menschen heute Nacht noch sterben würden, weil sie dem Herzog – wenn auch in einer vielleicht völlig unbedeutenden Funktion – gedient hatten, darüber konnte ich nur spekulieren. Ebenso stand Cecils Schicksal in den Sternen. Ich bezweifelte freilich nicht, dass er entkommen war. Der Meistersekretär war auch ein Meister des Überlebens.
An Master Shelton wollte ich lieber nicht denken. Ich wusste nicht einmal, ob er überhaupt schwimmen konnte.
Noch schmerzhafter war der Gedanke an Jane Grey, die ab sofort eine Staatsgefangene war, auf Gedeih und Verderb der Gnade der Königin ausgeliefert. Doch statt mich damit zu befassen, konzentrierte ich mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, den triefenden Umhang hinter mir herschleifend, bis ich die Straße erreichte. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie weit es von hier nach Hatfield sein mochte. Vielleicht würde mich am Morgen ein Karren mitnehmen, wenn ich wieder trocken war und nicht mehr wie ein Vagabund aussah.
Als ich die Stadt weit genug hinter mir gelassen hatte und mich einigermaßen sicher fühlte, ließ ich mich zu Boden sinken und untersuchte meinen Umhang. Vorsichtig barg ich das in seinem tropfnassen Tuch verwahrte Goldblatt und steckte es unter das Wams. Gerade wrang ich den Umhang aus, damit ich ihn zu einem Bündel schnüren und auf dem Rücken tragen konnte, als ich das Klappern von Hufen vernahm. Es ging in einen Galopp über – und kam schnurstracks auf mich zu.
Ich kauerte mich hinter einen Weißdornbusch, der natürlich nur wenig Deckung bot. Zum Glück war es eine mondlose Nacht. Und vielleicht waren die Reiter zu sehr auf ihr eigenes Entkommen bedacht, um auf mich zu achten. Ich legte mich so flach wie möglich auf die Erde und hielt die Luft an, als zwei Männer auftauchten. Soweit ich das erkennen konnte, trug jeder von ihnen Kappe und Umhang. Ausgerechnet auf meiner Höhe hielten sie an. Ich verfluchte mein Pech.
»Das wurde aber auch Zeit«, sagte eine vertraute Stimme.
Mit einem erschöpften Lächeln richtete ich mich auf.
Cecil musterte mich von oben bis unten. Er ritt auf Deacon. An seiner Seite saß Peregrine auf Cinnabar. »Na endlich!«, rief der Junge. »Wir suchen dich seit einer Stunde und haben schon gerätselt, welche Suppe du dir diesmal eingebrockt hast.« Er
Weitere Kostenlose Bücher