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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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mit tiefen Kerben; und dann – ach zum Teufel! Der ganze Raum war einfach riesig. Sagenhaft! Keiner hätte das hinter der schäbigen Fassade vermutet.
    Ich beugte mich vor, um die Goldfiligranarbeiten an einem kleinen Tischchen zu studieren. M’Cwyie schien mein Interesse zu genießen, trotzdem hätte ich nur höchst ungern mit ihr Poker gespielt.
    Der Tisch war mit Büchern beladen.
    Mit den Zehen fuhr ich ein Mosaik am Boden nach.
    „Liegt Ihre ganze Stadt in diesem einen Gebäude?“
    „Ja, es reicht weit in den Berg hinein.“
    „Ich verstehe“, sagte ich und verstand keine Spur.
    Ich konnte sie schließlich doch nicht gut um eine Führung bitten.
    Sie trat zu einem kleinen Hocker neben dem Tischchen.
    „Sollen wir Ihre Freundschaft mit der Hochsprache jetzt einleiten?“
    Ich versuchte die mächtige Halle mit den Augen zu fotografieren, wußte, daß ich über kurz oder lang irgendeine Kamera hier hereinbringen mußte. Ich riß den Blick von einer Statuette und nickte. „Ja, tun Sie das.“ Ich setzte mich.
    Die nächsten drei Wochen jagten sich die Buchstaben vor meinen Augen, wenn ich zu schlafen versuchte. Der Himmel war ein einziges wolkenloses türkisfarbenes Tuch, über das, jedesmal wenn ich den Blick hob, Schriftzeichen rasten. Ich trank literweise Kaffee bei der Arbeit, und in den Pausen nahm ich Benzidrincocktails mit Sekt zu mir. M’Cwyie belehrte mich jeden Morgen zwei Stunden lang und gelegentlich abends auch noch zwei. Die restlichen vierzehn Stunden des Tages war ich auf mich allein gestellt.
    Und nachts trug mich der Fahrstuhl der Zeit in seine untersten Geschosse …
     
    Ich war wieder sechs, lernte mein Hebräisch, Griechisch, Latein und Aramäisch. Ich war zehn, steckte gelegentlich die Nase in die Ilias. Und wenn Daddy nicht gerade Höllenfeuer, Schwefel und brüderliche Liebe predigte, lehrte er mich, die Schrift zu schätzen, im Original natürlich.
    Großer Gott! Es gibt so viele Originale und so viele Schriften! Als ich zwölf war, fing ich an, ihn auf die kleinen Unterschiede hinzuweisen, die es zwischen dem, was er predigte, und dem, was ich las, gab.
    Aber die fundamentale Kraft seiner Antwort duldete keinen Widerspruch. Es war schlimmer, als wenn er mich verprügelt hätte. Von da ab hielt ich den Mund und lernte, die Dichtung des Alten Testaments zu schätzen.
    Herr, das tut mir leid! Daddy, es tut mir wirklich leid, das darf nicht sein! Das ist nicht möglich …
    An dem Tag, als der Junge mit Anerkennungsschreiben für Deutsch, Spanisch und Latein die Oberschule abschloß, hatte Dad Gallenger seiner vierzehnjährigen, ein Meter achtzig großen Vogelscheuche von einem Sohn gesagt, er solle sich auf das Priesteramt vorbereiten. Ich erinnere mich noch daran, wie sein Sohn ihm auswich:
    „Sir“, hatte er gesagt, „ich würde eigentlich lieber ein oder zwei Jahre für mich studieren und dann auf irgendeiner Universität ein theologisches Vorbereitungsstudium anfangen. Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, daß ich für ein Seminar noch ein wenig jung bin.“
    Und die Stimme Gottes: „Aber du hast die Gabe der Zungen, mein Sohn. Du kannst in allen Landen Abels das Wort lehren. Du bist dazu geboren, Missionar zu sein. Du sagst, du bist jung, aber die Zeit eilt wie ein Wirbelwind an dir vorbei. Je früher du beginnst, desto mehr Jahre kannst du dem Herrn dienen.“
    Und diese zusätzlichen Jahre, die ich dem Herrn dienen sollte, lasteten schwer auf meinem Rücken. Ich kann das Gesicht meines Vaters heute nicht mehr sehen; ich konnte es nie. Vielleicht kam es daher, daß ich immer Angst hatte, ihm in die Augen zu sehen.
    Und Jahre später, als er tot war, als er im schwarzen Gewand inmitten von Blumensträußen und Kränzen aufgebahrt lag, inmitten weinender Glaubensbrüder, von Gebeten, Taschentüchern, Händen, die mir auf die Schulter klopften, Menschen mit würdigen Gesichtern … da sah ich ihn an und erkannte ihn nicht.
    Wir waren uns neun Monate vor meiner Geburt begegnet, dieser Fremde und ich. Er war nie grausam gewesen, nur streng, fordernd, voll Verachtung für menschliche Schwäche, aber nie grausam. Ich hatte nur ihn gekannt, nie meine Mutter. Und keine Brüder. Und keine Schwestern. Er hatte die drei Jahre hingenommen, die ich in St. John’s verbracht hatte, wahrscheinlich wegen seines Namens, und ohne zu wissen, wie liberal und wie schön es dort gewesen war.
    Aber ich habe ihn nie gekannt, und der Mann auf dem Katafalk forderte jetzt nichts mehr; jetzt war ich

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