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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Zittern der Winde, weich, sanft, seufzend und stockend, unsicher. Eine Pause. Ein Schluchzen. Dann eine Wiederholung, nur lauter.
    Hatte das viele Lesen meine Augen getrübt oder zitterte Braxa tatsächlich, am ganzen Leib, von Kopf bis Fuß.
    So war es.
    Sie begann ein mikroskopisch feines Schwanken. Den Bruchteil eines Zentimeters nach rechts, dann nach links. Ihre Finger öffneten sich wie die Blütenblätter einer Blume, und ich konnte sehen, daß ihre Augen geschlossen waren.
    Jetzt öffneten sie sich. Sie waren in der Ferne, glasig, blickten durch mich und die Wände hindurch. Ihr Schwanken wurde ausgeprägter, wurde eins mit dem Takt.
    Jetzt fegte der Wind von der Wüste herein, rannte gegen Tirellian an wie Wellen gegen einen Deich. Ihre Finger bewegten sich, sie waren die Windstöße.
    Ihre Arme, langsame Pendel, senkten sich, begannen eine gegenläufige Bewegung.
    Jetzt kam der Sturm auf. Sie begann sich um ihre Achse zu drehen, und ihre Hände schlossen sich dem Rest ihres Körpers an. Nur ihre Schultern drehten sich noch in einer seltsamen Acht.
    Der Wind! Der Wind, sage ich. O wildes, rätselhaftes Wesen! O Muse des heiligen Johannes von Persien!
    Der Wirbelsturm drehte sich jetzt um diese Augen, diesen einzigen Ruhepunkt. Ihr Kopf war zurückgeworfen, aber ich wußte, daß zwischen ihrem Blick, der so starr war wie der Buddhas, und den unveränderten Himmeln keine Grenze war. Nur die beiden Monde unterbrachen vielleicht ihren Schlummer in jenem elementaren Nirwana aus leerem Türkis.
    Vor J ahren hatte ich in Indien die Devadasis gesehen, die Straßentänzerinnen, die ihre farbenprächtigen Gewebe durch die Luft wirbelten und das Insekt Mann an sich zogen. Aber Braxa war mehr als das: Sie war eine Ramadjany, wie jene Jünger des Rama, eine Inkarnation des Vishnu, die der Menschheit den Tanz gegeben hatte.
    Das Ticken war jetzt monoton und gleichförmig; das Klagen der Saiten ließ mich an die stechenden Strahlen der Sonne denken, an ihre Hitze, die der Windhauch gestohlen hatte; das Blau war Sarasvati, Maria und ein Mädchens namens Laura. Von irgendwoher hörte ich eine Sitar, sah zu, wie diese Statue zum Leben erwachte, und atmete göttlichen Hauch.
    Ich wurde zu Rimbaud mit seinem Haschisch, zu Baudelaire mit seinem Laudanum, ich war Poe, De Quincy, Wilde, Mallarme und Aleister Crowley. Eine flüchtige Sekunde lang war ich mein Vater auf seiner dunklen Kanzel, in seinem noch dunkleren Anzug, und die Hymnen und das Keuchen der Orgel waren in hellen Wind verwandelt.
    Sie war eine bunte Wetterfahne, ein mit Federn bewachsenes Kruzifix, das in der Luft schwebte, eine Wäscheleine mit einem einzigen grellbunten Kleid. Ihre Schulter war jetzt bloß, und ihre rechte Brust bewegte sich auf und ab wie ein Mond am Himmel. Ihre rote Brustwarze tauchte plötzlich über einer Falte auf und verschwand wieder. Die Musik war so streng wie Jobs Streit mit Gott, und ihr Tanz war Gottes Anwort.
    Die Musik verlangsamte sich, senkte sich; man war ihr begegnet, hatte sich ihr angeglichen, ihr geantwortet. Ihr Kleid kroch – gleichsam als lebte es – wieder in die Falten zurück, die es ursprünglich gehabt hatte.
    Sie sank auf den Boden nieder. Ihr Kopf fiel auf ihre angezogenen Knie. Sie regte sich nicht.
    Schweigen.
     
    Meine Schmerzen in den Schultern sagten mir, wie angespannt ich gewesen war. Meine Achselhöhlen waren feucht. Ströme von Schweiß waren an meinen Seiten heruntergeflossen. Was tat man jetzt? Applaudieren?
    Aus dem Augenwinkel suchte ich M’Cwyie. Sie hob die rechte Hand.
    Wie auf ein telepathisches Geheiß schauderte das Mädchen jetzt am ganzen Körper und stand auf. Auch die Musiker erhoben sich. M’Cwyie tat es ihnen gleich.
    Ich stand auf. Ich hatte einen Muskelkater im linken Bein und sagte: „Das war schön“, so leer das auch klang.
    Die Antwort, die ich erhielt, waren drei verschiedene Hochformen von „danke“.
    Ein Flattern von Farben, und ich war wieder mit M’Cwyie allein.
    „Das ist der Einhundertsiebzehnte der Zweitausendzweihundertvierundzwanzig Tänze des Locar.“
    Ich blickte auf sie hinab.
    „Ob Locar nun recht oder unrecht hatte, jedenfalls hat er eine schöne Antwort auf das Anorganische geschaffen.“
    Sie lächelte.
    „Sind die Tänze Ihrer Welt wie dieser?“
    „Einige von ihnen sind ähnlich, aber ich habe noch nie einen gesehen, der genau wie dieser war.“
    „Sie ist gut“, sagte M’Cwyie. „Sie kennt alle Tänze.“
    Eine Andeutung ihres früheren Ausdrucks,

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