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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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anorganischen Substanz. Sie sagten, die Bewegung sei das erste Gesetz des Lebens, das erste Gesetz überhaupt und der Tanz sei die einzig zulässige Erwiderung auf das Anorganische … die Qualität des Tanzes, seine Berechtigung … und Liebe ist eine Krankheit des Organischen – des Anorganischen?
    Ich schüttelte den Kopf. Ich war beinahe eingeschlafen.
    „M’narra.“
    Ich stand auf, streckte mich. Ihre Augen musterten mich jetzt begierig. Also erwiderte ich ihren Blick, und ihre Augen senkten sich.
    „Ich bin müde. Ich möchte eine Weile ausruhen. Ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen.“
    Sie nickte, die Kurzschrift der Erde für „ja“. Sie hatte es von mir gelernt. „Sie wünschen, sich zu entspannen und die Doktrin von Locar in ihrer ganzen Fülle ausgedrückt zu sehen?“
    „Wie bitte?“
    „Wünschen Sie einen Tanz des Locar zu sehen?“
    „Oh.“ Ihre verdammte Geschraubtheit in der Gestik und Sprache war ja noch schlimmer als im Koreanischen!
    „Ja. Sicher. Ich würde das sehr gerne sehen.“
    Ich fuhr fort: „Außerdem hatte ich vor, Sie zu fragen, ob ich ein paar Bilder machen dürfte …“
    „Das hat Zeit. Setzen Sie sich. Ruhen Sie aus. Ich werde die Musiker rufen.“
    Sie huschte durch eine Türe hinaus, die ich noch nicht gesehen hatte.
    Nun schön. Nach Locar war der Tanz die höchste Form der Kunst, ganz zu schweigen von Havelock Ellis, und ich würde jetzt miterleben, wie diese Kunst nach Meinung ihres seit Jahrhunderten toten Philosophen ausgeübt werden sollte. Ich rieb mir die Augen und machte dann ein paar Freiübungen.
    Das Blut begann in meinen Schläfen zu pochen, und ich holte ein paarmal tief Luft. Als ich mich wieder vorbeugte, bewegte sich an der Tür etwas.
    Für die drei, die mit M’Cwyie hereinkamen, mußte ich – wie ich so vorgebeugt dastand – ausgesehen haben, als suchte ich Murmeln, die ich gerade verloren hatte.
    Ich grinste verlegen, richtete mich auf. Mein Gesicht war gerötet, und zwar nicht nur von der Anstrengung. So schnell hatte ich sie nicht erwartet. Und dann mußte ich erneut an Havelock Ellis denken, an den Höhepunkt seiner Popularität.
    Die kleine rothaarige Puppe, die ein durchsichtiges Stück des Marshimmels wie einen Sari trug, blickte verwundert auf, so wie ein Kind eine farbenprächtige Fahne auf einer hohen Stange bewundert.
    „Hallo“, sagte ich. Vielleicht habe ich auch auf Marsianisch gegrüßt.
    Sie verbeugte sich, ehe sie antwortete. Offensichtlich war ich zu einem höheren Rang befördert worden.
    „Ich werde tanzen“, sagte die rote Wunde in dieser blassen Miniatur, die ihr Gesicht war. Augen von der Farbe eines Traums und ihres Kleides rissen sich von meinen los.
    Sie schwebte in die Mitte des Raumes.
    Wie sie so dortstand, einer Figur in einem etruskischen Fries gleichend, machte sie mir den Eindruck, als meditiere sie oder mustere den Boden.
    War das Mosaikmuster dort ein Symbol für irgend etwas. Ich studierte es. Wenn ja, so vermochte ich den Sinn nicht zu erkennen; es würde einen hübschen Bodenbelag für ein Badezimmer oder eine Terrasse abgeben, aber mehr vermochte ich darin nicht zu erkennen.
    Die beiden anderen waren wie M’Cwyie mit Farbe überschüttete Sperlinge in mittleren Jahren. Eine ließ sich mit einem dreisaitigen Instrument, das mich schwach an ein Samisen erinnerte, auf den Boden nieder. Die andere hielt einen ganz gewöhnlichen Holzblock in der Hand und zwei Trommelstöcke.
    M’Cwyie verschmähte ihren Hocker und saß, ehe ich dessen recht gewahr wurde, auf dem Boden. Ich tat es ihr gleich.
    Die Samisenspielerin stimmte noch ihr Instrument, und so beugte ich mich zu M’Cwyie.
    „Wie heißt die Tänzerin?“
    „Braxa“, antwortete sie, ohne mich anzusehen und hob die linke Hand ganz langsam, was besagen sollte: nur zu, fang an.
    Das Saiteninstrument zog wie ein Zahnschmerz, und ein Ticktacken wie von den Geistern aller Uhren, die man je erfunden hatte, sprang aus dem Holzblock.
    Braxa war eine Statue, beide Hände zum Gesicht erhoben, die Ellbogen in Schulterhöhe weggespreizt.
    Die Musik wurde zu einer Umschreibung von Feuer.
    Sie bewegte sich nicht.
    Aus dem Knistern der Flammen wurde ein Lodern. Die Kadenz verlangsamte sich. Jetzt war es Wasser, das Wertvollste auf der Welt, zuerst gurgelnd klar und dann grün über bemoosten Felsen.
    Und immer noch bewegte sie sich nicht.
    Glissandos. Eine Pause.
    Und dann, so schwach, daß ich mir zuerst meiner Sache gar nicht sicher war, begann das

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