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Die Türen seines Gesichts

Die Türen seines Gesichts

Titel: Die Türen seines Gesichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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behauptete. Er sprach, wie Locar sprach. Aber wir legten uns nicht nieder, trotz der Plagen, der Kriege und der Hungersnöte. Wir starben nicht. Wir kämpften die Krankheiten, eine nach der anderen nieder, wir gaben den Hungrigen zu essen, zogen in die Schlachten und haben die Kriege sogar in letzter Zeit abgeschafft, vielleicht für immer, ich weiß es nicht.
    Aber wir haben Millionen von Meilen des Nichts durchkreuzt. Wir haben eine andere Welt besucht. Und unser Locar hatte gesagt: ‚Warum sich mühen? Was ist es wert? Es ist alles ohnehin nur Hochmut.’
    Und das Geheimnis davon ist“, ich senkte meine Stimme wie bei einer Dichterlesung, „er hatte recht! Es ist Hochmut. Es ist Stolz! Es ist die Hybris des rationalen Denkens, immer den Propheten anzugreifen, den Mystiker, den Gott. Unsere Blasphemie ist es, die uns groß gemacht hat, die uns stützen wird und die die Götter insgeheim in uns bewundern. All die wirklich geheiligten Namen Gottes offenbaren sich in Dingen, die Blasphemie sind, wenn man sie ausspricht!“
    Ich begann zu schwitzen. Benommen hielt ich inne.
    „Hier ist das Buch des Ecclesiastes“, verkündete ich und begann:
    „.Hochmut der Hochmütigen, sagt der Prediger, Hochmut der Hochmütigen; alles ist Hochmut. Was nützte er dem Menschen …’“
    Ich entdeckte Braxa ganz hinten, stumm, hingerissen.
    Ich fragte mich, was sie wohl denken mochte.
    Und ich wand die Stunden der Nacht um mich wie schwarzen Faden auf eine Spule.
    Oh, wie spät es war! Ich hatte gesprochen, bis der Tag hereinbrach. Und immer noch sprach ich. Ich war mit Ecclesiastes zu Ende und fuhr mit Gallinger weiter.
    Und als ich damit endete, herrschte nur noch Schweigen.
    Die Buddhas, alle in einer Reihe, hatten sich die ganze Nacht nicht geregt. Und nach einer langen Weile hob M’Cwyie die rechte Hand. Und all die anderen Mütter taten es ihr gleich.
    Und ich wußte, was das bedeutete.
    Es bedeutete „nein, nicht, hör auf“, und es bedeutete auch „halt“.
    Es bedeutete, daß ich versagt hatte.
    Langsam ging ich aus dem Raum und sank neben meinem Gepäck nieder.
    Ontro war verschwunden. Gut, daß ich ihn nicht getötet hatte …
    Nach tausend Jahren trat M’Cwyie ein.
    „Deine Aufgabe ist beendet“, sagte sie. Ich regte mich nicht.
    „Die Prophezeiung ist erfüllt“, sagte sie. „Mein Volk freut sich. Du hast gewonnen, heiliger Mann. Jetzt verlaß uns schnell.“
    Mein Geist war wie ein leerer Ballon. Ich pumpte wieder etwas Luft hinein.
    „Ich bin kein heiliger Mann“, sagte ich, „bloß ein zweitrangiger Dichter, der schwer unter seiner Hybris leidet.“
    Ich zündete mir die letzte Zigarette an, die ich hatte.
    Schließlich fragte ich: „Schön, was für eine Prophezeiung?“
    „Das Versprechen des Locar“, erwiderte sie, als wäre jede Erklärung unnötig, „daß ein heiliger Mann aus dem Himmel herabsteigen würde, um uns in unseren letzten Stunden zu retten, wenn all die Tänze des Locar vollendet wären. Er würde die Faust des Malann besiegen und uns das Leben bringen.“
    „Wie?“
    „Wie mit Braxa und wie das Beispiel im Tempel.“
    „Beispiel?“
    „Du hast uns seine Worte gelesen, seine Worte, so groß wie die Locars. Du hast uns vorgelesen, daß es ‚nichts Neues unter der Sonne gibt’. Und du hast seine Worte verspottet, als du sie lasest, und uns etwas Neues gezeigt.
    Es hat noch nie eine Blume auf dem Mars gegeben“, sagte sie, „aber wir werden lernen, sie zu züchten. Du bist der ‚geheiligte Spötter’“, schloß sie, „der ,Der-Im-Tempel-Spott-Treiben-Muß’ – du trittst mit Schuhen auf heiligen Grund.“
    „Aber Sie haben doch mit ‚Nein’ gestimmt“, sagte ich.
    „Wir haben dafür gestimmt, unseren ursprünglichen Plan nicht durchzuführen und statt dessen Braxas Kind am Leben zu lassen.“
    „Oh.“ Die Zigarette fiel mir aus der Hand. Wie knapp das doch gewesen war! Wie wenig hatte ich gewußt!
    „Und Braxa?“
    „Man hat sie vor einem halben Zeitraum ausgewählt, um zu tanzen, auf Sie zu warten.“
    „Aber sie sagte, Ontro würde mich aufhalten.“
    M’Cwyie stand lange reglos da.
    „Sie hat selbst nie an eine Prophezeiung geglaubt. Um sie steht es jetzt nicht gut. Sie rannte weg, fürchtete, daß sie zuträfe. Und als Sie sie vollendeten und wir abstimmten, da wußte sie es mit Sicherheit.“
    „Dann liebt sie mich nicht? Hat mich nie geliebt?“
    „Es tut mir leid, Gallinger, das war der eine Teil ihrer Pflicht, den sie nie zustande

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