Die Türme der Mitternacht
wie Aberglaube und Vorurteile wogen schwerer als bloße Gedanken. Was die anderen beiden über Alliandre dachten und was sie instinktiv fühlten, waren zwei verschiedene Dinge. Davon abgesehen war Alliandre tatsächlich eine Frau, die schrecklich überfordert war und sich anstrengen musste, um mitzuhalten.
Es war immer besser, wenn man wusste, wo seine Stärken lagen.
Alliandre konzentrierte sich wieder auf die Herstellung von Verbänden. Faile und Berelain hatten darauf bestanden zu helfen; Alliandre konnte nicht gehen. Nicht, wo sich die beiden in letzter Zeit so verdammt faszinierend benahmen. Davon abgesehen hatte sie nichts gegen die Arbeit. Verglichen mit der Gefangenschaft bei den Aiel war das sogar recht angenehm. Leider führten die beiden ihre Unterhaltung nicht weiter fort. Tatsächlich stand Berelain sogar mit frustrierter Miene auf und ging zur anderen Seite der Lichtung.
Alliandre konnte förmlich spüren, wie diese Frau ihre Kälte verlor. Berelain blieb stehen, wo andere Stoffstreifen aufwickelten. Alliandre stand auf und trug Hocker, Schere und Stoff zu Faile hinüber. »Ich glaube, ich habe sie noch nie so durcheinander gesehen«, sagte sie.
»Sie hat nicht gern Unrecht«, bemerkte Faile. Sie holte tief Luft und schüttelte dann den Kopf. »Sie betrachtet die Welt als Gespinst aus Halbwahrheiten und Einmischungen, unterstellt den einfachsten Männern komplizierte Motive. Ich vermute, das macht sich bei Hofe sehr gut. Aber ich würde so nicht leben wollen.«
»Sie ist sehr klug«, sagte Alliandre. »Sie sieht Dinge, Faile. Sie versteht die Welt, aber wie die meisten von uns ist sie für einige Dinge einfach blind.«
Faile nickte abwesend. »Am Traurigsten finde ich daran die Tatsache, dass ich trotz allem nicht glaube, dass sie jemals in Perrin verliebt war. Sie jagte ihm nach, weil es ihr Spaß machte, um politische Vorteile zu erringen und für Mayene. Am Ende ging es mehr um die Herausforderung als um alles andere. Sie mag ihn ja schätzen, aber das ist es auch schon. Vielleicht könnte ich sie eher verstehen, wenn es um Liebe gegangen wäre.«
Danach hielt Alliandre den Mund und schnitt Binden. Sie stieß auf ein schönes blaues Seidenhemd in dem Stapel. Damit konnte man doch sicherlich etwas Besseres anfangen! Sie stopfte es zwischen zwei andere und legte sie neben sich, als wollte sie diesen Stapel später zerschneiden.
Perrin betrat die Lichtung, gefolgt von Arbeitern in blutiger Kleidung. Er ging sofort zu Faile und setzte sich auf Berelains Hocker, stellte seinen wunderbaren Hammer auf dem Gras ab. Er sah erschöpft aus. Faile holte ihm etwas zu trinken und rieb dann seine Schultern.
Alliandre entschuldigte sich und verließ Perrin und seine Frau. Sie begab sich an den Rand der Lichtung zu Berelain, die eine Tasse Tee aus dem Kessel über dem Feuer trank. Berelain musterte sie.
Alliandre schenkte sich selbst eine Tasse ein, dann blies sie einen Moment lang darauf. »Sie sind gut füreinander, Berelain«, sagte sie. »Ich kann nicht behaupten, dass es mir leidtut, dieses Ergebnis zu sehen.«
»Jede Beziehung verdient eine Herausforderung«, erwiderte Berelain. »Und wäre sie in Maiden gestorben, was eigentlich zu erwarten gewesen wäre, hätte er jemanden gebraucht. Aber es ist für mich kein großer Verlust, den Blick von Perrin Aybara zu wenden. Ich hätte gern durch ihn eine Verbindung zum Wiedergeborenen Drachen gehabt, aber es wird neue Gelegenheiten geben.« Sie erschien weit weniger verbittert als noch vor Augenblicken. Tatsächlich schien sie wieder so berechnend wie immer zu sein.
Alliandre lächelte. Kluge Frau. Faile hatte ihre Rivalin völlig am Boden sehen müssen, damit sie diese Bedrohung für erledigt hielt. Darum hatte sich Berelain einen Teil ihrer Verbitterung ansehen lassen, weitaus mehr, als sie sonst zugelassen hätte.
Alliandre trank von ihrem Tee. »Die Ehe ist für Euch also nichts anderes als eine Rechenaufgabe? Errungene Vorteile und so weiter?«
»Da ist auch noch das Vergnügen der Jagd, das erregende Spiel.«
»Und was ist mit der Liebe?«
»Die Liebe gehört denen, die nicht herrschen«, meinte Berelain. »Eine Frau ist weit mehr wert als ihr Geschick, eine passende Partie zu finden, aber ich muss mich um Mayene sorgen. Wenn wir in die Letzte Schlacht eingreifen, ohne dass ich einen Gemahl gefunden habe, bringt das die Thronfolge in Gefahr. Und wenn Mayenes Thronfolge nicht gesichert ist, wird sich Tear ganz schnell einmischen. Eine Romanze ist
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