Die Türme der Mitternacht
ungehobeltes Gesicht mit feisten Wangen. Sein Blick war konzentriert, gefährlich. Er lächelte. Das Lächeln eines Katers, der eine Maus zum Spielen gefunden hatte.
Androl schnallte ohne Aufhebens den Armschutz ab und gab ihn Jonneth. Coteren war ein vollwertiger Asha’man, ein persönlicher Freund des M’Hael. Sein Rang war um Längen höher als der eines jeden Anwesenden.
»Der M’Hael wird davon hören«, sagte Coteren. »Ihr ignoriert eure Lektionen. Ihr werdet keine Pfeile oder Bögen brauchen - nicht, wenn ihr mit der Macht töten könnt!«
»Wir ignorieren gar nichts«, erwiderte Nalaam stur.
»Seid still, mein Junge«, wies Androl ihn zurecht. »Achtet auf Euren Tonfall.«
Coteren lachte. »Hört auf den Pagen. Der M’Hael würde auch von eurer Respektlosigkeit erfahren.« Er konzentrierte sich auf Androl. »Ergreift die Quelle.«
Zögernd gehorchte Androl. Die Süße von Saidin floss in ihn hinein, und er warf einen nervösen Blick zur Seite. Von den Schatten war nichts zu sehen.
»Wie erbärmlich«, sagte Coteren. »Zerstört den Stein da drüben!«
Er war viel zu groß für ihn. Aber er hatte es schon zuvor mit Rüpeln zu tun gehabt, und Coteren war ein Rüpel der gefährlichsten Sorte - einer mit Macht und Autorität. Am besten gab man nach. Verlegenheit war eine geringe Strafe. Das war etwas, das nur wenige Rüpel zu verstehen schienen.
Androl webte das erforderliche Gewebe aus Feuer und Erde und richtete es auf den großen Stein. Das dünne Gewebe hielt beinahe die ganze Macht, zu der er fähig war, aber sie sprengte bloß ein paar Splitter von dem Stein.
Coteren lachte herzlich, genau wie die Gruppe der Geweihten, die unter einem Baum in der Nähe aßen. »Verfluchte Asche, Ihr seid so nutzlos!«, sagte Coteren. »Vergesst, was ich eben sagte, Page! Ihr braucht diesen Bogen!«
Androl ließ die Eine Macht los. Coteren hatte seinen Spaß gehabt; er würde zufrieden sein. Unglücklicherweise fühlte er, wie die Männer hinter ihm die Quelle ergriffen. Jonneth, Canler und Nalaam bauten sich neben ihm auf, und jeder von ihnen war mit der Einen Macht gefüllt und bebte vor Zorn.
Die Männer, die gegessen hatten, standen auf; sie hielten ebenfalls die Quelle. Es waren doppelt so viele wie Androls Freunde. Coteren grinste tückisch.
Androl sah Canler und die anderen an. Er hob die Hand. »Jungs, Asha’man Coteren tut bloß, was ihm der M’Hael befohlen hat. Er will mich wütend machen, damit ich mich mehr anstrenge.«
Die beiden Gruppen zögerten. Die Intensität ihrer Blicke kamen beinahe an die Macht in ihnen heran. Dann ließ Jonneth die Quelle los. Das veranlasste Nalaam, seinem Beispiel zu folgen, und schließlich wandte sich der mürrische Canler ab. Coteren lachte.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Canler, als die andere Gruppe abrückte. Er warf einen Blick über die Schulter. »Das gefällt mir ganz und gar nicht. Warum habt Ihr uns aufgehalten, Androl?«
»Weil sie uns schneller in unsere Einzelteile zerlegt hätten, als Ihr fluchen könnt, Canler«, fauchte Androl. »Beim Licht, Mann! Ich kann bloß ein paar Tropfen der Macht lenken, und Emarin ist nicht mal einen Monat bei uns. Jonneth lernt schnell, aber wir wissen alle, dass er noch nie mit der Macht gekämpft hat, und die Hälfte von Coterens Männern war zusammen mit dem Lord Drachen in der Schlacht! Glaubt Ihr allen Ernstes, Ihr und Nalaam könntet allein auf Euch gestellt zehn Männer überwältigen?«
Canler murmelte etwas Unhörbares, ließ das Thema aber fallen.
»Makashak Na farmalashten morkase«, murmelte Nalaam, »delf takaksaki mere!« Er lachte mit einem wilden Blick. Androl kannte die Sprache nicht - es handelte sich nicht um die Alte Sprache, so viel stand fest. Möglicherweise war es nicht einmal eine Sprache.
Keiner der anderen Männer sagte ein Wort. Gelegentlich plapperte Nalaam unverständliches Zeug vor sich hin. Falls man ihn darauf ansprach, behauptete er immer, ganz normal gesprochen zu haben. Der Ausbruch schien Emarin und Jonneth gehörig zu verstören. Sie hatten noch nie erlebt, wie Freunde den Verstand verloren und alle in ihrer Umgebung umbrachten. Und man konnte nur beim Licht hoffen, dass sie es jetzt auch niemals erleben mussten. Was auch immer Androl vom Lord Drachen hielt, weil er sie im Stich gelassen hatte, die Reinigung sprach al’Thor von allem frei. Nun war Machtlenken gefahrlos.
Oder zumindest weniger gefährlich. Machtlenken würde niemals ungefährlich sein, vor allem jetzt
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