Die Türme der Mitternacht
des Schwertes ernennen, aber du kannst diesen Titel auch in Abwesenheit behalten. Solange du für den gelegentlichen Staatsakt auftauchst, brauchst du dir keine Sorgen zu machen, dass man etwas anderes von dir verlangt. Ich gebe sofort den Erlass heraus und berufe mich darauf, dass du am Vorabend der Letzten Schlacht andere wichtige Dinge zu erledigen hast.«
»Ich … danke«, sagte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er das auch empfand. Irgendwie klang es viel zu sehr wie Egwenes Beharren, dass er ihre Tür nicht bewachen musste.
Elayne drückte erneut seine Hand, dann begab sie sich zu ihrem wartenden Gefolge. Gawyn sah zu, wie sie ruhig mit ihnen sprach. Jeden Tag schien sie majestätischer zu werden; es war, als würde man einer Blume beim Erblühen zusehen. Er wünschte sich, er wäre in Caemlyn gewesen, um diesen Prozess von Anfang an zu verfolgen.
Er ertappte sich bei einem Lächeln, als er weiter an den Rosen vorbeiging. Die gesunde Dosis von Elaynes eigenwilligem Optimismus machte es ihm schwer, weiter an seinem Bedauern festzuhalten. Nur sie allein konnte einen Mann als eifersüchtig bezeichnen und dafür sorgen, dass er sich dabei auch noch gut fühlte.
Er schritt durch Wogen aus Duft und fühlte die Sonne auf seinem Hals. Hier hatten Galad und er als Kinder gespielt, und er dachte daran, wie seine Mutter mit Bryne in diesem Garten spaziert war. Er erinnerte sich an ihre sorgfältigen Mahnungen, wenn er sich danebenbenommen hatte, dann an ihr Lächeln, wenn er sich so benahm, wie man von einem Prinz erwarten konnte. Dieses Lächeln war wie die aufgehende Sonne erschienen.
Sie war dieser Ort. Sie lebte weiter, in Caemlyn, in Elayne - die jede Stunde mehr wie sie aussah -, in der Sicherheit und Kraft von Andors Volk. Er blieb neben dem Teich stehen, genau an der Stelle, an der Galad ihn als Kind vor dem Ertrinken gerettet hatte.
Vielleicht hatte Elayne ja recht. Vielleicht hatte al’Thor nichts mit Morgases Tod zu tun. Und falls doch, würde Gawyn das niemals beweisen können. Aber das spielte keine Rolle. Rand al’Thor war bereits dazu verdammt, in der Letzten Schlacht zu sterben. Warum den Mann also weiter hassen?
»Sie hat recht«, flüsterte Gawyn und schaute den Libellen zu, die auf der Wasseroberfläche tanzten. »Wir sind fertig miteinander, al’Thor. Von jetzt an bist du mir völlig egal.«
Er fühlte, wie eine gewaltige Last von seinen Schultern wich. Gawyn stieß einen langen, entspannten Seufzer aus. Erst jetzt, nachdem Elayne ihn entlassen hatte, erkannte er, wie schuldig er sich wegen seiner Abwesenheit in Andor gefühlt hatte. Auch das war jetzt verschwunden.
Zeit, sich auf Egwene zu konzentrieren. Er griff in die Tasche, holte das Messer des Attentäters hervor und hielt es in die Sonne, untersuchte diese roten Steine. Er hatte die Pflicht, Egwene zu beschützen. Einmal angenommen, sie war auf ihn wütend, hasste ihn und schickte ihn ins Exil, würde das alles die Strafe nicht wert sein, wenn es ihm gelang, sie am Leben zu erhalten?
»Bei dem Grab meiner Mutter«, sagte da eine scharfe Stimme hinter ihm. »Wo habt Ihr das denn her?«
Gawyn fuhr herum. Hinter ihm standen die Frauen, die ihm zuvor aufgefallen waren. Dimana führte sie an; ihre Augen wurden von Fältchen umgeben. Sollte die Arbeit mit der Macht nicht angeblich diese Zeichen des Alterns aufhalten?
Die eine ihrer Begleiterinnen war eine mollige junge Frau mit schwarzem Haar, die andere eine stämmige Frau in ihren mittleren Jahren. Die zweite war diejenige, die das Wort ergriffen hatte; sie hatte große, unschuldig blickende Augen. Und sie schien entsetzt zu sein.
»Was ist denn, Marille?«, fragte Dimana.
»Dieses Messer«, sagte Marille und zeigte auf Gawyns Hand. »Marille hat so etwas schon zuvor gesehen!«
»Ich habe das schon zuvor gesehen«, korrigierte Dimana sie. »Ihr seid eine Person und kein Ding.«
»Ja, Dimana. Viele Entschuldigungen, Dimana. Marille … ich werde den gleichen Fehler nicht noch einmal begehen, Dimana.«
Gawyn runzelte die Stirn. Was stimmte mit dieser Frau nicht?
»Vergebt Ihr, mein Lord«, sagte Dimana. »Marille war lange Zeit Damane und kann sich nur schwer umgewöhnen.«
»Ihr seid Seanchanerin?«, fragte Gawyn. Natürlich, ich hätte den Akzent bemerken müssen.
Marille nickte eifrig. Eine ehemalige Damane.
Gawyn fröstelte. Diese Frau war darin ausgebildet worden, mit der Macht zu töten. Die dritte Frau blieb stumm und verfolgte alles neugierig. Sie erschien nicht
Weitere Kostenlose Bücher