Die Türme der Mitternacht
vielleicht ein Versprechen. Falls dem so sein sollte, dann gelten folgende Bedingungen: wir schicken Euch jedes Jahr zwei Lehrlinge, und Ihr schickt uns zwei.«
»Nicht Eure Schwächsten«, entgegnete Egwene. »Ich will die Vielversprechendsten.«
»Und Ihr tut das auch?«
»Ja«, sagte Egwene. Zwei waren ein Anfang. Möglicherweise würden sie die Zahl erhöhen wollen, sobald sich die Vereinbarung als nützlich erwies. Aber darauf würde sie nicht am Anfang bestehen.
»Und wir?«, sagte Amys. »Sind wir auch ein Teil dieses ›Handels‹, wie Ihr es nennt?«
»Zwei Aufgenommene«, sagte Egwene, »im Austausch für zwei Lehrlinge. Sie lernen für eine Zeit von nicht weniger als sechs Monaten, aber auch nicht länger als zwei Jahre. Sobald unsere Frauen bei Euch sind, werden sie als Eure Lehrlinge betrachtet und müssen Euren Regeln folgen.« Sie zögerte. »Am Ende ihrer Ausbildung müssen alle Lehrlinge und Aufgenommene für zumindest ein Jahr zu ihren Leuten zurückkehren. Wenn sich Eure danach entscheiden, Aes Sedai werden zu wollen, dann können sie zurückkehren, damit wir darüber entscheiden können. Das Gleiche gilt für unsere Frauen, sollten sie sich entscheiden, bei Euch bleiben zu wollen.«
Bair nickte nachdenklich. »Vielleicht wird es Frauen wie Euch geben, die unsere Sitten kennenlernen und erkennen, dass sie überlegen sind. Es ist trotzdem eine Schande, dass wir Euch verloren haben.«
»Mein Platz war anderswo«, sagte Egwene.
»Akzeptiert Ihr das auch zwischen uns?«, sagte Shielyn zu den Weisen Frauen. »Sollten wir dem zustimmen, zwei für zwei, auf eine ähnliche Art?«
»Falls die Abmachung Zustimmung findet«, sagte Bair mit einem Blick auf die anderen Weisen Frauen, » schließen wir sie auch mit Euch ab. Aber wir müssen vorher mit den anderen Weisen Frauen darüber sprechen.«
»Und was ist mit den Ter’angrealen?«, wandte sich Shielyn an Egwene.
»Die gehören Euch«, sagte Egwene. »Im Gegenzug entbindet Ihr uns von unserem Versprechen, Euch Schwestern zu schicken, die Euch unterrichten, und wir lassen alle vom Meervolk, die zur Zeit bei uns sind, zu ihrem Volk zurückkehren. Das alles muss die Zustimmung Eures Volkes haben, und ich werde es vor den Saal der Burg bringen müssen.«
Natürlich waren ihre Dekrete das Gesetz, denn sie war die Amyrlin. Aber wenn sich der Saal querstellte, wurden diese Gesetze möglicherweise am Ende schlichtweg ignoriert. Hierbei brauchte sie die Unterstützung der anderen Schwestern - und die wollte sie auch, vor allem da sie wollte, dass der Saal mehr mit ihr zusammenarbeitete und sich weniger heimlich traf.
Allerdings war sie sich ziemlich sicher, für diesen Vorschlag eine Mehrheit zu finden. Zwar würde den Aes Sedai nicht gefallen, Ter’angreale aufzugeben, aber der mit dem Meervolk abgeschlossene Handel wegen der Schale der Winde gefiel ihnen erst recht nicht. Sie würden so gut wie alles dafür geben, um davon befreit zu werden.
»Ich wusste doch, dass Ihr versuchen würdet, dem Unterricht durch die Schwestern bei uns ein Ende zu machen«, sagte Shielyn selbstzufrieden.
»Was ist Euch lieber? Frauen, die zu unseren schwächsten Mitgliedern gehören und ihren Dienst als Strafe sehen? Oder lieber Frauen von Eurem Meervolk, die das Beste gelernt haben, was wir anbieten können, und glücklich zurückkehren, um es mit ihrem Volk zu teilen?« Egwene war sowieso in Versuchung gewesen, ihnen einfach Meervolk-Aes Sedai zu schicken, um die Abmachung zu erfüllen; es erschien eine vernünftige Lösung dieser Situation zu sein.
Aber mit ein bisschen Glück würde diese neue Abmachung die alte ersetzen. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Schwestern vom Meervolk sowieso verlieren würde, zumindest diejenigen, die sich danach sehnten, wieder bei ihrem Volk zu sein. Die Welt veränderte sich, und jetzt, wo die Windsucherinnen nicht länger ein Geheimnis darstellten, musste man die alten Bräuche nicht länger aufrechterhalten.
»Wir besprechen es«, sagte Shielyn. Sie nickte den anderen zu, und sie verschwanden aus dem Raum. Sie lernten schnell.
»Dieser Tanz ist gefährlich, Egwene al’Vere«, sagte Amys, stand auf und richtete ihr Schultertuch. »Es gab eine Zeit, in der die Aiel stolz darauf gewesen wären, den Aes Sedai dienen zu können. Diese Zeit ist vorbei.«
»Die Frauen, die Ihr glaubtet finden zu können, sind nichts weiter als ein Traum, Amys«, sagte Egwene. »Das wahre Leben ist oft enttäuschender als unsere Träume, aber wenn
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