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Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Titel: Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonke Dragt
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»aber eigentlich hast du doch gar keinen Beweis mehr nötig, Tim?«
    »Es ist mein Buch«, sagte ich, »und im Übrigen heiße ich nicht Tim.« (Ich hörte auf einmal in meinem Kopf nachklingen, was er zu mir gesagt hatte.) »Ich heiße Tom …« (Das wird wohl auch stimmen, denn er kennt mich!) »Ich heiße genauso wie Sie.« (Auch das hat er mir selber erzählt.)
    Er fuhr mit seinen Händen in die Hosentaschen und rasselte mit irgendetwas. Waren es Schlüssel? Er starrte auf die Kiste, als ob er nachdächte. Es fiel ihm immer schwerer, die Ruhe zu bewahren.
    Dieser seltsame Kauz, dieser verrückte alte Mann besitzt den Schlüssel zu meinem Geheimnis, dachte ich. Ich bin fast ebenso groß wie er und vermutlich stärker. Soll ich ihm den Schlüssel einfach abnehmen?
    Ich spürte deutlich, dass der Turm schwankte; ich durchlebte noch einmal meine ältesten Erinnerungen an den Strand und die See, während ich einen Schritt auf ihn zuging. Ich wollte mir den Schlüssel nehmen .
    Aber er war schon neben der Kiste in die Knie gegangen; er hatte den Schlüssel in seiner Hand, er steckte ihn in das Schloss und drehte ihn langsam um. Während er dies tat, fragte er: »Erinnerst du dich wirklich an alles? Ich kann es beinahe nicht glauben.«
    »Dann lassen Sie es eben bleiben!«, sagte ich. »Es interessiert mich überhaupt nicht, ob Sie mir glauben oder nicht. Ich möchte nur zurückhaben, was mir gehört.«
    Er tat einen tiefen Seufzer und blickte in die Kiste hinein; sie war nun offen – voller Kladden, Bücher und Papiere. Er wühlte darin herum und hielt dann einen gelben Umschlag in seiner Hand. Er schlug den Deckel zu, legte den Umschlag darauf und schloss die Kiste wieder zu.
    Ich hätte den Umschlag an mich reißen und weglaufen können – aber ich ließ es bleiben.
    Er kennt mich, aber für mich ist er ein Fremder; vor dem 30. Februar kann ich mich nicht an ihn erinnern. Auf diesen Seiten ist mit Sicherheit etwas Schreckliches notiert; das klingt aus seinen Worten heraus und auch aus Téjas Warnungen.
    Er richtete sich langsam auf und legte den Umschlag in meine bebende Hand. »Sieh bitte nach, ob dies wirklich deine Papiere sind«, sagte er. »Ja richtig – du musst natürlich einen Spiegel haben. Ich gebe dir meinen eigenen …« Er fing an, im Zimmer herumzusuchen.
    »Das ist nicht nötig«, sagte ich. Der Umschlag war offen; es waren tatsächlich meine Blätter. Die Einteilung darauf sah nach meinem Tagebuch aus.
    Plötzlich stand Herr Avla wieder vor mir, mit einem Spiegel in der Hand.
    »Es ist wirklich nicht nötig«, sagte ich noch einmal. »Haben Sie vielen Dank. Ich nehme sie mit.«
    Das versetzte ihm einen Schock. »Du gehst doch nicht wieder weg? Du bleibst doch hier?«
    »Nein, ich gehe zurück. Ich habe es versprochen.«
    Ich sah, dass er sehr erschrocken war. »Das kannst du doch nicht tun, gerade jetzt nicht! Du gehörst hierher, zu mir! Außerdem bist du hier in Sicherheit.«
    »Hier, in einem der Türme?«
    »Gerade deswegen.« Er durchbohrte mich förmlich mit seinen Blicken und wurde immer unruhiger. »Welche Erinnerung hast du an diesen Turm?«
    Er packte meinen Arm und versuchte mich festzuhalten, aber ich riss mich los und ging auf die Türe zu, die sich hinter mir befand.
    »Ich erinnere mich genau an alles, was Sie auch wissen«, sagte ich auf gut Glück.
    »Bleib doch bitte … Lies es nicht, bevor du dich an alles erinnerst … Und gib es ihr nicht zu lesen, gib es ihnen nicht zu lesen, lass es niemand …«
    »Ich muss jetzt gehen!«, sagte ich, mittlerweile fast in Panikstimmung.
    »Aber du kommst doch hoffentlich wieder? Du musst wiederkommen!«
    »Ja, ich komme wieder.«
    Und dieses Versprechen werde ich halten.
    »Sprich mit keinem Menschen über mich«, sagte er. »Kannst du nicht doch hier bleiben?«
    »Nein«, sagte ich und dann floh ich aus dem Gebäude. Er lief mir auf der Galerie noch ein Stückchen nach. »Tom, Tim, Tom, bleib doch hier!«, rief er. »Nachher lassen sie dich womöglich nicht mehr weg … Tom!«
    Ich heiße also Tom.
    Viel mehr habe ich nicht in Erfahrung gebracht. Ich habe mir stundenlang Mühe gegeben, mich an sinnvolle Zusammenhänge zu erinnern und richtig zu schalten, und ich habe haargenau aufgeschrieben, auf welche Art und Weise ich die Seiten zurückbekommen habe, die Herr Avla aus diesem Büchlein herausgerissen hat. Sie liegen hier neben mir, immer noch in demselben Umschlag; ich traue mich nicht, sie zu lesen. Ich darf sie auch gar nicht lesen –

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