Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman
jedenfalls solange nicht, bis ich mein Gedächtnis zurückhabe. Aber was bleibt mir denn anders übrig, wenn ich mein Gedächtnis nur dadurch wiederfinden kann, dass ich sie lese?
Ich kann auch noch aufschreiben, wie ich aus dem Turm herausgekommen bin – aber das ging merkwürdigerweise so rasch, dass ich es kaum mehr weiß. Es war fast völlig dunkel, und trotzdem rannte ich sämtliche Treppen hinab, ohne auch nur ein einziges Mal zu stolpern oder mich zu vertun. In der Halle war es noch dunkler; ich wollte nicht noch mal den Gang entlang, sondern stattdessen durch die Drehtür gehen – aber sie ließ sich nicht bewegen, sosehr ich auch daran rüttelte. Also musste ich doch in den schwarzen Gang hinein; allerdings nicht weit, denn ich stellte fest, dass die erste Tür auf der rechten Seite nicht verschlossen war und in eine Garage führte. Ich öffnete die großen Außentore und kam auf diese Weise schnell aus dem Turm hinaus. Ich warf noch rasch einen Blick nach oben – stand da ein Mensch auf einem Balkon? War es Herr Avla? Ich lief davon, auf die Stadt zu. Nach einer Weile blieb ich stehen; ich war erfüllt von Freude und Dankbarkeit. Und da stand auch der Hund, der auf mich gewartet hatte – so ein treues, liebes, tapferes Tier!
Wieso fand ich mich eigentlich so gut im Dunkeln zurecht? Und wie komme ich an die neuen Wörter Garage und Balkon ? Ich kenne den Turm bestimmt! Noch einen Augenblick, dann werde ich wieder alles wissen.
Nein, nichts mehr.
Ich habe Téja nach dem Datum gefragt; wir haben erst den 23. März.
Ich kann auch noch aufschreiben, dass die Davits mich heute Abend mit einem freundlichen »Willkommen zu Hause« empfangen haben. Jan fragte nicht, wo ich gewesen sei. Später unterhielt sich Téja alleine mit mir; sie hat dieses Büchlein gelesen und mir jetzt zurückgegeben. Sie weiß auch, dass ich die verschwundenen Seiten wiederhabe und dass ich mir ihren Spiegel geholt habe. Sie möchte nicht, dass ich sie lese; aber sie hat mir geschworen, dass sie nicht die geringste Ahnung hat, was darin steht.
Sie hilft mir trotz allem.
Jan glaubt jetzt, dass ich krank sei (nichts Schlimmes, nur eine Erkältung, sagt Téja). Außerdem hat sie ihm erzählt, dass sie mein Tagebuch vernichtet habe – sie habe es ins Meer geworfen. Sie wacht über mich und beschützt mich. Ich schreibe und zerbreche mir dabei den Kopf.
Ich habe die erste Seite vor den Spiegel gehalten.
Es ist in meiner Handschrift geschrieben oder in einer Schrift, die ihr sehr stark gleicht.
Tom (Thomas) Wit, bin ich das?
Téja will mich nur Tim nennen. 22)
22) Nun folgt der Inhalt der 24 Seiten, die sich hinten im Büchlein befanden, und zwar so, wie »Tim« oder »Tom« sie am 23. März im Spiegel entzifferte.
Zweiter Teil
Bin ich das gewesen?
1. Februar bis einschließlich 29. Februar 1964
I. Das Axiom und die Theorien
des Thomas Alva
AXIOM: Es gibt noch andere Welten als diese.
(Axiom = Grundbehauptung, siehe Mathematik)
Samstag, 1. Februar 1964
Dies ist der Anfang meines Tagebuchs; ich schreibe es jedoch nur als wissenschaftliches Experiment. Ich hatte auch früher schon mal ein Tagebuch, als ich xxx 23) , aber das war wertlos und so habe ich es verbrannt. Herr Alva führt ein Tagebuch; er sagte, ich müsse es ebenfalls tun, wenn ich zum Beispiel ein Problem lösen möchte. Und genau das habe ich vor. Ich möchte eine Studienreise unternehmen, falls es mir gelingt. Und da das Experiment erst am 29. Februar beginnen kann, ist alles, was ich jetzt aufschreibe, nur eine Einleitung dazu. Zuerst muss ich über Herrn Alva und seinen Plan berichten. Das ist wissenschaftlich exakt. Ich will nämlich eine Theorie beweisen.
23) durchgestrichene Sätze, unlesbar.
Herr Alva ist Erfinder. Vielleicht wäre es richtiger, ihn einen Gelehrten zu nennen. Wie er sagt, ist sein Name schuld daran, dass er dies geworden ist. Er heißt mit vollem Namen Thomas Alva; das sind auch die Vornamen von Edison. (Thomas Alva Edison, amerikanischer Erfinder. Es gibt natürlich auch noch den spanischen Herzog Alva, aber mit dem hat er nichts zu tun.)
Das ist übrigens einer der Punkte aus Herrn Alvas Theorie: Namen sind bedeutungsvoll, oder besser gesagt, Worte . Alva ist ja nicht nur ein Name, sondern auch ein Wort. Thomas ist ebenfalls ein Wort. Und weil ich Thomas heiße, hat er sich mit mir angefreundet. Auf jeden Fall erzählt er mir vieles, was er anderen nicht sagt.
Herr Alva wohnt im selben Haus wie ich, in einem der neuen, turmartigen
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