Die Tulpe des Bösen
außer Betrieb, nur mehr eine Ruine, und von der roten Farbe war so gut wie nichts mehr zu erkennen, aber die Bezeichnung ›Rote Mühle‹ hatte sich gehalten.
Katoen fand die schmale Abzweigung, die der Bauer erwähnt hatte, und keine zehn Minuten später endete der Weg vor einer hohen Mauer, die ein Anwesen von beträchtlicher Größe umschloß.
Er stieg ab und fand das Eingangstor aus schweren Holzbohlen fest verschlossen. An einer Seite hing eine Klingelschnur, an der er etliche Male zog, bis er nach drei oder vier Minuten endlich etwas hörte: Hundegebell. Kurz darauf wurde das Tor einen schmalen Spalt geöffnet, und erneut erscholl lautes Gebell.
Was Katoen durch den Spalt erblickte, war alles andere als vertrauenerweckend. Der unermüdlich kläffende Hund auf der anderen Seite des Tores entpuppte sich als eine große, struppige Bestie, deren Rasse beim besten Willen nicht zu erkennen war. Wahrscheinlich kamen bei diesem Tier die boshaftesten und gefährlichsten Einflüsse so gut wie aller boshaften und gefährlichen Hunderassen zum Tragen. Über den Mann, der das Tier an der Leine hielt, hätte sich vermutlich Ähnliches sagen lassen. Er war von überaus kräftiger Statur, und eine breite Narbe lief quer über sein Gesicht, von der rechten Schläfe bis unter den linken Mundwinkel. Anstelle der Nase hatte er nur ein knorpeliges Gebilde, die Lippen waren zerteilt wie von einem Messer zerschnitten. Bei Nacht in einer unbelebten Gasse hätte er so manchem arglosen Passanten einen Heidenschrecken eingejagt.
»Was wollt Ihr?« stieß der Mann mit einem seltsamen Akzent hervor, und Speichel rann über sein Kinn. Er hatte kaum noch Zähne im Mund, und die wenigen verbliebenen Stummel waren schwarz wie die Nacht.
»Ich möchte zu Willem van Dorp.«
»Mein Herr empfängt keine Besucher.«
Nach dieser knappen Mitteilung wollte der Mann mit dem Narbengesicht das Tor auch schon wieder schließen, doch Katoens strenger Blick hielt ihn davon ab.
»Mich wird er empfangen müssen«, sagte er in ebenso brüskem Ton, wie sein Gegenüber ihn angeschlagen hatte. »Der Amtsrichter von Amsterdam schickt mich. Und wenn Ihr mich nicht sofort einlaßt, macht Ihr Euch der Behinderung der Justiz schuldig!«
In dem verunstalteten Gesicht begann es zu arbeiten, was sich in einem heftigen Zucken der Mund-und Augenwinkel zeigte. Katoen wollte die Sache beschleunigen, indem er das Tor aufdrückte, aber das war ein Fehler. Der Hund bellte wie verrückt und zerrte so wild an der Leine, daß selbst der kräftige Mann ihn kaum halten konnte. Von dem Gebell erschreckt, scheute Katoens sonst so gutmütige Stute und wollte ausbrechen. Er mußte seine ganze Kraft aufbieten, um sie zu bändigen, und um ein Haar wäre er dabei aus dem Sattel geglitten und im Dreck gelandet.
»Haltet den Köter bloß fest!« fuhr er das Narbengesicht an, sobald er das Pferd wieder unter Kontrolle hatte. »Und führt mich endlich zu Eurem Herrn!«
Widerwillig trat der Mann beiseite, so daß Katoen mitsamt der Stute das Tor passieren konnte. Der Hund hatte sich vom lauten Bellen auf ein leiseres, aber nicht minder gefährlich klingendes Knurren verlegt, und das Pferd tänzelte nervös hin und her.
Sorgsam schloß der Diener das Tor wieder und legte einen schweren Riegel davor. »Bindet Euer Pferd besser hier an, bevor ich Euch zu meinem Herrn führe.« Er sabberte so stark beim Sprechen, daß er sich zweimal mit dem Ärmel über Mund und Kinn wischen mußte.
Katoen band sein Tier an den Torriegel und folgte dem Mann auf einem schnurgeraden Pfad, der zwischen scheinbar endlosen Blumenbeeten hindurch zu einem großen Haus führte. Verwundert sah er sich um und dachte über die Mauer nach, die das große Grundstück umgab.
Etwas stimmte hier nicht, von innen wirkte das Anwesen viel größer als von draußen. Scheinbar endlose Reihen von Beeten mit Tulpen unterschiedlichster Färbung und Zeichnung umgaben das Haus. Weitaus mehr Beete, als eigentlich auf das Grundstück gepaßt hätten!
Er blieb stehen, um mit dem Blick den Verlauf der Umfassungsmauer zu verfolgen. Dabei kam er an einen Punkt, an dem die Mauer abrupt endete und nahtlos in ein Beet mit gelbroten Tulpen überging. Wie konnte das sein? Eben noch hatte er sich die Mauer von außen angeschaut und an dieser Stelle keine Öffnung erkennen können. Warum sollte Willem van Dorp auch die eigene Mauer durchbrechen, die doch offenbar dem Schutz seiner Tulpenzucht diente?
Doch dann entdeckte er, daß die
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