Die Tulpe des Bösen
bebenden Lippen, und ein harter Stiefeltritt traf Katoen in die rechte Seite.
Katoen ignorierte den brennenden Schmerz, packte, bevor der andere erneut zutreten konnte, dessen rechten Unterschenkel und drehte ihn mit aller Gewalt herum. Der Mann verlor das Gleichgewicht und stürzte auf einen Stuhl, der krachend unter ihm zusammenbrach.
Nackt, wie er war, warf Katoen sich auf den Fremden, aber der erholte sich schneller als erwartet. Ein Fausthieb traf Katoen ins Gesicht und blockte seinen Angriff ab. Benommen taumelte er zurück, bis er mit dem Rücken gegen eine Wand stieß.
Der Fremde griff nach einem Bein des zerbrochenen Stuhls, um damit auf Katoen einzuschlagen. Aber Catrijn, wie Katoen noch vollkommen nackt, hatte nach seinem Dolch gegriffen und drückte die Spitze gegen die linke Brustseite des Angreifers, wie sie es zuvor bei Katoen getan hatte. Das bremste seinen Eifer, und er verharrte mitten in der Bewegung.
»Jetzt ist Schluß, Pieter!« fuhr sie den Mann an. »Du weißt genau, daß du hier nichts zu suchen hast!«
»Wer ist das?« fragte Katoen, als er die Benommenheit abgeschüttelt hatte.
»Pieter Hartig, mit dem zusammen ich seit dem Tod meines Gemahls die Apotheke führe. Eigentlich verstehe ich mich auf den Beruf des Apothekers ebensogut, denn ich bin meinem Bernhard immer zur Hand gegangen. Aber die meisten Menschen haben größeres Vertrauen in die Arzneien, die ihnen ein Mann verabreicht.« Catrijn stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Unwillen und Verachtung angesiedelt war. »Leider hat sich im Kopf dieses Mannes die Idee festgesetzt, er könne auch ansonsten die Stelle meines Gemahls einnehmen.«
Hartig knurrte wie ein in die Ecke gedrängtes Tier und hob die Hand mit dem Stuhlbein ein Stück höher.
Catrijn erhöhte den Druck mit dem Dolch. »Wenn du das Stuhlbein nicht sofort fallen läßt, Pieter, wird dein Herz wahrhaftig bluten!«
In ihrer Stimme und ihrem Blick lag eine unbedingte Entschlossenheit, die den Apotheker tatsächlich veranlaßte, sich von seiner Waffe zu trennen.
Ein kalter Schauder lief Katoen über den Rücken, als er Catrijn ansah und daran dachte, wie nahe die Schönheit und der Tod doch beieinanderlagen.
K APITEL 6
Der Tulpennarr
M ITTWOCH , 10. M AI 1671
W as für ein Narr war er doch! Das sagte Jeremias Katoen sich wieder und wieder, während die graue Stute, die ihm die berittenen Wachen zur Verfügung gestellt hatten, in südlicher Richtung dahintrottete. Es war noch früh am Tag, und er hatte die Sonne noch nicht gesehen. Riesige graue Wolkenknäuel hingen über Amsterdam und dem Umland, und es regnete ununterbrochen, mal nur leicht, dann wieder stärker, als könnten die Wolken sich nicht entscheiden, ob sie ihre Wasserfracht nun abladen sollten oder nicht. Katoen hatte seinen Hut tief in die Stirn gezogen und einen schweren Umhang umgelegt, aber es war nicht das schlechte Wetter, das ihn mit sich hadern ließ. Seine Gedanken kreisten um die vergangene Nacht und seine Dummheit, sich mit der Schwester des Amtsrichters einzulassen.
Dummheit? Catrijn war eine schöne und anziehende Frau, und er hatte das Zusammensein mit ihr über die Maßen genossen. Das Auftauchen des eifersüchtigen Apothekers dagegen war weniger angenehm gewesen. Katoen konnte den Blick des Mannes nicht vergessen. Sehnsüchtig und enttäuscht zugleich hatte er Catrijn angesehen – zornig und haßerfüllt dagegen Katoen.
Hartig schien Catrijn mit jeder Faser seines Herzens zu begehren und erlitt das Schicksal, das so manchen Liebenden traf: Seine Gefühle wurden nicht erwidert.
Nachdem er das Stuhlbein fallen gelassen hatte, war er von Catrijn mit scharfen, geradezu erniedrigenden Worten zurechtgewiesen worden und hatte vor ihr gestanden wie ein gescholtenes Kind vor der zornigen Mutter. Hätte Katoen nicht noch schmerzhaft den Stiefeltritt im Leib und den Fausthieb im Gesicht verspürt, er hätte Mitleid mit ihm gehabt. Schließlich hatte Catrijn den Apotheker fortgeschickt, und er hatte den Salon wortlos und mit gesenktem Haupt verlassen. Wie Katoen von Catrijn erfahren hatte, lebte der Mann in einer kleinen Wohnung im Hinterhaus.
»Da hast du einen ebenso eifersüchtigen wie unberechenbaren Verehrer«, hatte Katoen zu ihr gesagt, während er sich mit einem Taschentuch das Blut von den Lippen wischte. »Sollte mich nicht wundern, wenn er vorhin der Verfolger an der Brücke war.«
Catrijn hatte ihm das Taschentuch aus der Hand genommen und sanft seine Lippen abgetupft.
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