Die Tulpe des Bösen
einen schönen Ausblick auf die roten Ziegelsteinmauern der Nieuwe Kerk. Im Kontor saß, über ein Buch mit langen Zahlenkolonnen gebeugt, ein großer, breitschultriger Mann Ende Vierzig, der mehr wie ein Arbeiter wirkte und nicht so sehr wie jemand, der seine Tage damit verbringt, über Büchern zu brüten. Und doch stellte Joan Blaeu ihn als seinen Hauptkontoristen vor, Barent Vestens.
»Und dies hier ist Mijnheer Jeremias Katoen, der Amtsinspektor, der uns in dieser schwierigen Angelegenheit hoffentlich beistehen wird«, erklärte Blaeu seinem Angestellten.
Vestens erhob sich von seinem spartanischen Schemel. »Dann lasse ich Euch jetzt besser allein.«
Blaeu legte Vestens die Hände auf die Schultern und drückte ihn sanft zurück auf den Schemel. »Unsinn, Barent, du wirst dabeisein. Schließlich bist du in alles eingeweiht, und du weißt, wie sehr ich deinen scharfen Verstand schätze.« Zu Katoen gewandt, fügte er hinzu: »Barent Vestens ist meine rechte Hand in allen geschäftlichen Belangen. Nur er und ich sind über die delikate Affäre im Bilde, niemand sonst.«
»Auch Eure Söhne nicht?« fragte Katoen, der wußte, daß Blaeu zwei seiner Söhne mit verschiedenen Bereichen seiner weitverzweigten Geschäfte betraut hatte. Der dritte hatte die Rechte studiert und sich als Advokat niedergelassen und war seinem Vater auf diese Art sicher auch recht nützlich.
»Nein, auch die nicht. Je kleiner der Kreis der Eingeweihten bleibt, desto besser. Meinen Söhnen könnte gegenüber einem ihrer zahlreichen Geschäftsfreunde eine Bemerkung herausrutschen, die fatale Folgen hätte. Amsterdam ist eine große Stadt, aber Gerüchte machen hier ebenso schnell die Runde wie im kleinsten Dorf. Die Fähigkeiten meiner Söhne in allen Ehren, aber da vertraue ich eher auf meinen Freund Barent.«
»Was genau ist Euer Problem?« fragte Katoen, nachdem sie sich gesetzt hatten.
Blaeu seufzte schwer, die Sache war ihm offensichtlich unangenehm. »Vor ein paar Nächten hatten wir ungebetenen Besuch hier in der Werkstatt – die Kartenschnapper.«
So nannte man eine Diebesbande, die sich darauf verlegt hatte, wertvolle Landkarten und ihre Vorlagen aus Druckereien zu stehlen, um sie für teures Geld an die Konkurrenten der Bestohlenen zu verkaufen. Seit einiger Zeit war es um die Bande ruhig geworden, und Katoen hatte schon geglaubt, sie hätte sich zurückgezogen.
»Was haben sie gestohlen?«
»Ein Paket mit alten, sehr wertvollen Karten, die Kapitäne der Ostindischen Kompanie auf ihren Fahrten angefertigt hatten.«
»Was noch?«
»Das ist alles. Vielleicht hatten sie keine Zeit, noch weiter hier herumzustöbern.«
»Vielleicht«, sagte Katoen. »Vielleicht haben die Einbrecher aber auch gezielt nach dieser Beute gesucht.«
»Woher hätten sie davon und von ihrem Aufbewahrungsort wissen sollen?«
»Ich glaube schon lange, daß die Kartenschnapper mit Informanten zusammenarbeiten, mit Angestellten ihrer Opfer.«
Vestens fuhr mit einer seiner großen Hände durch seinen üppigen rotblonden Bart, es war eine Geste des Zweifelns. »Ich kann mir nicht recht vorstellen, daß es hier einen Verräter geben soll. Im Gegensatz zu manch anderen Druckhäusern werden die Leute hier gut bezahlt.«
»Es wird mir ohnehin nicht möglich sein, in diesem Fall zu helfen«, sagte Katoen. »Es tut mir leid, Mijnheer Blaeu, wenn ich Euch enttäuschen muß. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, den Kartenschnappern ihr schmutziges Handwerk zu legen, leider ohne Erfolg. Was nicht zuletzt daran liegt, daß viele Eurer Kollegen eine schützende Hand über die Bande halten. Schließlich kommen viele Kartenmacher dadurch an Material, das ihnen sonst verwehrt bliebe. Ich fürchte, Ihr werdet Euer gestohlenes Eigentum niemals wiedersehen.«
Blaeus Züge verhärteten sich. »O doch, das werde ich!«
»Was macht Euch da so sicher?«
»Die Diebe haben mir in einem Brief angeboten, mein Eigentum zurückzukaufen, für eine exorbitante Summe allerdings. Die gestohlenen Karten mögen ja einiges wert sein, aber zwölftausend Gulden gewiß nicht.«
»Zwölf-tau-send?« wiederholte Katoen, ungläubig jede Silbe betonend. »Das ist ja ein kleines Vermögen!«
»Ja, mehr, als so mancher meiner Kollegen im Jahr verdient.«
»Und trotzdem wollt Ihr die geforderte Summe zahlen, wie ich Euren Worten entnehme?«
»Verhandlungen über die Höhe der Summe haben die Kartenschnapper in ihrem Schreiben ausgeschlossen. Also muß ich zahlen, wenn ich
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