Die Tulpe des Bösen
hielten beide ein Blütenblatt dieser ominösen Tulpe des Bösen umklammert?«
Der Alte schien ratlos. »Das kann ich Euch nicht sagen. Es ist so lange her, daß ich den Bericht gelesen habe. Aber vielleicht entdeckt Ihr einen Hinweis darin.«
»Wo finde ich das Manuskript des Kreuzfahrers? Etwa in der großen Büchersammlung von Willem van Dorp?«
»Nein, ihm gehört es nicht. Allerdings war er damals zugegen, als unser gemeinsamer Freund es uns zeigte.«
»Wem gehört es dann?« fragte Katoen ungeduldig.
»Damals gehörte es dem Kartenmacher Willem Blaeu. Jetzt wird es wohl im Besitz seines Sohnes sein, Joan Blaeu.«
K APITEL 8
Das Geheimnis des Kartenmachers
J oan Blaeu bereitete Katoen in der neuen Druckerei in der Gravenstraat, die er erst vier Jahre zuvor eröffnet hatte, einen herzlichen Empfang und führte ihn durch die einzelnen Räume, in denen fleißig gearbeitet wurde. Die Gerüche von Papier, Druckerschwärze, Leim und Holz lagen schwer in der Luft, während Kupferplatten als Druckvorlagen für Landkarten gestochen, in den schweren Pressen Karten und Buchtexte gedruckt und in der Buchbinderei die einzelnen Blätter zu dickleibigen Bänden zusammengefügt wurden. Mit sichtlichem Stolz auf seine Lebensleistung erklärte der Kartenmacher und Verleger seinem Gast jeden Arbeitsschritt.
Während sie zuschauten, wie ein Geselle Blaeus mit sicherer Hand die Küstenlinie einer Katoen unbekannten Insel in eine blankpolierte Kupferplatte grub, sagte Joan Blaeu: »Die meisten unserer Mitbürger denken, daß im Sitz der Ostindischen Kompanie das Herz unserer Handelsmacht schlägt, aber sie täuschen sich. Das Herz schlägt hier!« Er klopfte mit der rechten Hand auf das kleine Pult, auf dem eine spiegelverkehrte Zeichnung lag – die Vorlage, nach der der Kupferstecher arbeitete. »Ohne die Karten, die wir hier mit höchster Genauigkeit fertigen, wäre kaum ein Ziel zu finden, ginge so manches Schiff auf hoher See verloren. Aber dank unserer Karten kehren die Schiffe heim, und sie bringen das Wissen um neue Inseln und Küsten mit, die Grundlage für weitere und noch genauere Karten. Wie das Blut durch das menschliche Herz, so fließt jede Schiffsladung aus oder nach Übersee durch meine Werkstätten.«
»Oder durch die eines Eurer Kollegen«, wagte Katoen einzuwenden, da Joan Blaeu zwar der bekannteste und erfolgreichste Kartenmacher Amsterdams war, doch bei weitem nicht der einzige.
»Kollegen? Oder meintet Ihr Konkurrenten?«
»Ich weiß nicht, wie Ihr das seht, Mijnheer Blaeu.«
Unter dem Bart des Kartenmachers zeichnete sich ein dünnes Lächeln ab. »Sprechen wir von Kollegen, denn wer wirklich gut ist, hat keine Konkurrenz zu fürchten. Nicht von ungefähr war ich gezwungen, neben meiner Druckerei in der Bloemgracht hier eine weitere Werkstatt zu eröffnen. Anders könnte ich die vielen Aufträge, die mir vorliegen, gar nicht bewältigen.«
»Es freut mich, daß Eure Geschäfte so gut gehen.«
»Mich auch.« Blaeus Lächeln verschwand schlagartig, wich einem ernsten, ja angespannten Ausdruck. »Und Ihr sollt dafür sorgen, daß es auch so bleibt, Mijnheer Katoen. Aber darüber sprechen wir besser in meinem Privatkontor.«
Auf dem Weg dorthin erzählte Katoen von seiner Unterredung mit Sybrandt Swalmius und von dem Bericht des Kreuzfahrers, der Swalmius zufolge Blaeus Vater gehört hatte. »Ich würde diesen Bericht gern einmal sehen.«
»Da kann ich Euch leider nicht helfen«, erwiderte Blaeu. »Ich habe nie von einem solchen Manuskript gehört. Der alte Swalmius ist ja auch nicht mehr ganz klar im Kopf.«
»Was diesen Punkt betrifft, erschien er mir sogar sehr klar.«
»Vielleicht hat er Euch die Wahrheit erzählt. Aber wenn dem so ist, dann muß mein Vater das Manuskript zu seinen Lebzeiten schon weggegeben haben. In seinem Nachlaß habe ich es jedenfalls nicht gefunden.«
Obwohl Blaeu sich sehr freimütig gab, argwöhnte Katoen, daß er angelogen wurde. Er hätte gar nicht sagen können, wie er darauf kam. Vielleicht war es ein kaum hörbarer Unterton in den Worten des Kartenmachers, vielleicht etwas in der Art, wie er Katoen ansah. Katoen hatte schon vielen Lügnern gegenübergestanden und ein Gespür dafür entwickelt, wann jemand die Wahrheit sagte und wann nicht. Längst nicht immer schlugen seine inneren Warnglocken Alarm, aber in diesem Fall spürte er ein deutliches Unbehagen.
Joan Blaeus Privatkontor im Erdgeschoß des Hauses war sehr geräumig und hell; zwei große Fenster boten
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