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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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der beste Freund eines sterbenden Soldaten war.
    »Manchen Arten von Schmerz kann nicht mal eine Tauchglocke voll Morphium was anhaben«, sagte Haley, während ein Kranz aus blauem Rauch um seinen Kopf waberte. »Doch der Schock schießt dich ganz einfach um. Der Blutdruck sinkt, die Atmung wird flach, du fängst an zu schwitzen, und du weißt nicht einmal mehr den Namen deiner Mutter. Umfallen und verbluten, und dann sanft hinübergleiten.«
    Sie befahlen Haley, verdammt noch einmal die Schnauze zu halten. Und George hatte einer Auseinandersetzung mit tödlichem Schock immer aus dem Weg gehen können, zumindest bis jetzt. Doch nun, da er unter einem Trümmerhaufen lag und Haleys Liste von Symptomen durchging, wurde ihm bewusst, dass er den Weg schon zu etwa drei Vierteln zurückgelegt hatte. Immerhin konnte er sich noch daran erinnern, dass seine Mutter Beatrice Anne gehießen hatte.
    Die abgerissene Hand rutschte von der zerborstenen Holzspitze hinunter. Ein Tropfen Blut sickerte auf seine Wange. George biss seine losen Zähne zusammen und kippte das Kantholz auf seine Brust. Dann schob er mit dem Stumpf seines Unterarms so lange, bis das Ende des Bretts unter dem Balken lag, der seinen linken Arm aufgespießt hatte.
    Er versuchte, sich sein zerfledertes Handgelenk nicht anzusehen. Blut lief an der Unterseite seines Arms entlang. Wenn er nicht bald einen Druckverband anlegen konnte—
    »Warte nicht, bis dieser zugekiffte Haley auf seinem kunterbunten Regenbogen runtergedüst kommt, um dir zu helfen, Georgie-Boy. Manche Dinge muss ein Mann einfach selbst erledigen. Und ein Alleskönner wie du, jemand, der ein richtiger Handwerker ist— obwohl du jetzt natürlich nur noch
halb
so handwerklich bist wie früher, nicht wahr?«
    George wollte Old Leatherneck entgegenschreien, dass er die Schnauze halten und sich verpissen sollte. Doch er brauchte ihn. Er brauchte diese höhnische innere Stimme mehr als jemals zuvor. Auf den einsamen Wegen und Fuhrwerkstraßen von Korban Manor hatte er bereitwillig jede Gesellschaft akzeptiert, die er finden konnte. Klar flüsterten sich einige Leute unten im Stony Hampton’s Café zu, rund um das Herrenhaus gäbe es Geister und solchen Kram. Doch nach Vietnam war George der Ansicht, dass die schlimmsten Geister Väter waren, die ihre Söhne in den Krieg schickten.
    Darum hatte er auch nicht weiter an das Gerede gedacht, als er schwache, flackernde Bewegungen im Inneren der Hütte wahrgenommen hatte. Er dachte, es wäre ein Opossum oder vielleicht ein Käuzchen. Nichts, was einen solchen immensen Schaden anrichten könnte. Und George wurde schließlich dafür bezahlt, für Ordnung zu Sorgen und diese Viecher fernzuhalten oder, wie Miss Mamie es auszudrücken pflegte: »Alles so zu halten, wie es war, als Ephram hier noch der Herr und Meister war.« Also hatte George den alten Metallriegel nach oben gedrückt und die knarrende Tür geöffnet und dabei gehofft, dass das Geräusch möglicherweise anwesende Schlangen verjagen würde.
    »Aber es war kein Opossum und auch kein Käuzchen, nicht wahr?«, flüsterte Old Leatherneck.
    Ruckartig öffneten sich Georges Augen. Er musste eingeschlafen sein. Das war noch so eins von Haleys Symptomen. Das Kantholz über seiner Brust hob und senkte sich mit jedem seiner flachen Atemzüge. Die Sonne hatte sich gesenkt, dunkle Schatten zeichneten sich auf den Trümmern ab.
    Die Angst ließ seinen Adrenalinspiegel nach oben schnellen und er hob das Kantholz an. Der Stumpf seines ehemaligen Handgelenks schrie in feuerrotem Schmerz auf.
    »Hast du mich verstanden? Es war kein Opossum, nicht wahr, Georgie?«
    Jetzt wünschte er, der alte Hurensohn würde die Klappe halten. Er musste sich konzentrieren, sich beeilen, er brauchte jetzt kein——
    »Es könnten
Sssssschlangen
sein.«
    Oder es könnten—
    —
der lang gezogene, weiße, schlüpfrige Schatten

    —welchen Streich auch immer seine Augen ihm gespielt hatten, als er die Hütte betrat. Und wenn sich ein Kerl nicht mehr auf seine eigenen Augen verlassen konnte, dann waren seine Tage als Handwerker, der millimetergenau arbeiten kann, gezählt. Aber im Moment war nur wichtig, dass—
    —
dieser schlüpfrige Schatten, durch den du direkt hindurchschauen konntest

    —wieder drückte er mit aller Kraft und stemmte den Deckenbalken von seinem linken Arm. Seine Brust explodierte in heißen blauen Funken des Schmerzes, rasendes, höllisches Blau, derart intensiv, dass es schon beinahe weiß war. Der

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