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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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zwanzig Morgen einnehmen.
    Die Anlage war in einem gepflegten Zustand, sämtliches Geröll war entfernt worden, und Mason konnte sich kaum vorstellen, dass diese sanft geschwungene Landschaft von allen Seiten durch steile Granitfelswände umgeben war.
    Nicht einmal der Kondensstreifen eines Flugzeugs zeichnete sich vor dem blauen Herbsthimmel ab. Es schien fast so, als läge das Anwesen nicht nur fernab jeglicher moderner Zivilisation, sondern als ob hier auch die Zeit still stehen würde. Majestätische Laubholzbäume streckten ihre Äste entlang eines breiten Feldweges, der sich in Richtung Westen schlängelte, in sorgfältig bemessenen Abständen aus. Neben der Weide wurde eine leichte Anhöhe von einem wunderschönen Apfelgarten überzogen, die Bäume mit pink- und goldfarbenen Früchten übersät. Auf dem dahinter liegenden Heufeld, das an einen dichten Wald grenzte, wog sich saftig grünes Gras besinnlich im Wind hin und her.
    Eine sanfte Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen: »Jetzt wissen Sie, warum Künstler ihr letztes Hemd geben würden, um hier heraufkommen zu können. Besonders im Herbst.«
    Anna Galloway kam über die Veranda und lehnte sich über das Geländer. Dann schloss sie die Augen und atmete übertrieben überschwänglich tief durch die Nase ein. »Ah. Frische Luft. Eine nette Abwechslung vom Gestank der Überheblichkeit, der drinnen herrscht.«
    »Sind Sie Malerin?«, fragte Mason. Er schaute noch immer über die Felder. Ihr Seitenhieb gegen Künstler hatte ihn irritiert.
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    »Was sind Sie dann?«
    »Muss denn jeder irgendetwas
sein

    Die Frau nickte in Richtung des Hauses. »Wenn man denen da drin zuhört, könnte man das denken.«
    »Na ja, immerhin ist das eine Künstlerklausur. Muss man da nicht ein bisschen dick auftragen und sich vor den anderen aufspielen?« Er wollte nicht, dass sie merkte, wie fehl am Platze er sich fühlte. Schon jetzt vermisste er die kleinen dreckigen Straßen von Sawyer Creek mit ihren Strommasten und den Plakatwänden, von denen sich altes Papier abschälte. Zu Hause würde er jetzt den Teekessel auf den Ofen stellen und diese Talkshow der Konservativen im Radio einschalten, die seine Mutter so liebte.
    »Was ist in der Tasche?«
    »In dem Beutel hier? Nichts. Nur ein bisschen Werkzeug.«
    »Schade«, meinte sie. »Sie wären viel interessanter, wenn es ein Fallschirm wäre.«
    Mason versuchte, sie nicht zu eindringlich anzusehen, auch wenn das gerade alles war, was er tun wollte. Klar, sie war hübsch, aber er spürte auch, dass er ihr nicht den Hinterwäldler vorgaukeln konnte, mit dem er sich durch sein Studium an der Kunsthochschule geschummelt hatte.
    Diese kobaltblauen Augen drangen zu tief ein, durchschauten den aalglatten Schein eines ersten Eindrucks. Seine bissige Antwort kam ein paar Sekunden zu spät: »Sie finden es wohl seltsam, dass ich mein Werkzeug überallhin mitnehme?«
    »Ich finde es seltsam, dass Sie es über die Brücke getragen haben. Als würden Sie jeden Moment ein Kunstwerk erschaffen wollen.«
    Er wünschte, er könnte es ihr erzählen. Auch wenn sein Werkzeug nicht unbedingt das teuerste war, so war es für ihn doch sehr wertvoll geworden. Er dachte an seine Mutter, wie sie alleine in dem kleinen Apartment in Sawyer Creek in ihrem abgewetzten Fernsehsessel saß, eine Katze auf dem Schoß. Ihre Augen zwinkerten niemals.
    Diese Frau, die er gerade eben erst getroffen hatte, besaß eine verdammt gute Intuition und konnte seine Selbstzweifel mit verblüffender Deutlichkeit erkennen. Er war auch nicht besser als der Rest, selbst wenn er vortäuschte, sich von anderen Künstlern zu unterscheiden und ihnen ihr Gehabe und ihr eitles Geschwätz nicht abzukaufen. Er war sich nicht sicher, ob seine Werke etwas über die Welt preisgaben, doch er war entschlossen, sie der Welt ins Gesicht zu halten und alle zu zwingen, ihnen Beachtung zu schenken.
    Mason rückte den Gurt seiner Tasche auf der Schulter gerade. Er fühlte, wie die Augen der Frau auf ihm ruhten.
    »Bildhauerwerkzeug«, sagte er. »Ein Hammer, eine kleine Axt, Meißel, Kanneliermesser und ein paar Klingen.«
    »Sie arbeiten mit Holz?«
    »Ich habe mit allem ein bisschen gearbeitet.« Endlich konnte er ihr direkt ins Gesicht schauen. Er zwang sich, ihrem Blick ohne Zwinkern standzuhalten. »Aber hier werde ich mich voll und ganz dem Holz widmen.«
    Sie nickte gleichgültig, als hätte sie ihn schon wieder vergessen. »Sechs Wochen sind nicht sehr lang.

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