Die Tunnel der Seele
Süße. Eine Anspielung auf Hemingway spart man sich besser für ein Publikum auf, das sie auch zu schätzen weiß.«
Spence hatte Bridget in den Sommersemesterferien bei einem Schriftstellerworkshop an der Universität von Georgia aufgegabelt. Tagsüber hatte er den Workshop geleitet und sich am Abend in den Bars von Athens abgekühlt. In den ersten Nächten hatten ihn die meisten der Studenten im zweiten Studienjahr begleitet, doch seine Leidenschaft für Völlerei und sein schroffer Charakter hatten die Gruppe bald kleiner werden lassen. Am Donnerstag der ersten Woche kreisten nur noch die ergebendsten unter ihnen wie helle Satelliten um ihn, angezogen vom schwarzen Loch seiner unberechenbaren Masse.
Drei von ihnen kamen für Spence in Frage: eine afrikanische Göttin mit bronzefarbener Haut und öligen Locken, eine hohlwangige Blondine, die sich ständig auf teuflische Art über die Lippen leckte und einen ungesunden Appetit nach den Werken von Richard Brautigan hatte, und die zarte Bridget. Wie immer hatte sich auch eine Traube männlicher Studenten um ihn gebildet. Sie hingen ihm am Rockzipfel und wollten ihm im Austausch für ein paar Drinks Schreibtipps abluchsen. Spence hatte mit Schriftstellern wenig Geduld. Sein bester Tipp war, mehr Zeit vor der Tastatur als vor einem Bartresen zu verbringen. Frauen waren einfacher gestrickt und daher nicht durch literarische Ambitionen verdorben.
Er hatte sich bewusst für Bridget entschieden, weil sie die unschuldigste und damit auch die anrüchigste der drei Mädchen war.
»Kommen die kreativen Ideen schon?«, fragte Bridget.
Er konnte sehen, dass sie nackt war. Vielleicht war es die rohe Hitze ihrer jungen Haut oder die animalische Energie, die sie verströmte. Auf jeden Fall wagte er es nicht, sie anzusehen. »Unterbrich mich nicht, wenn ich arbeite.«
»Ich dachte doch nur—«
»Seit wann denkst du? Überlass diese besondere Tätigkeit lieber denen, die ein Gehirn haben.«
Er hörte, wie die Tür mit einem festen, überzeugenden Klicken anstelle eines lauten Krachens, wie es eine Frau mit mehr Selbstbewusstsein getan hätte, geschlossen wurde. Er hatte eine sehr kluge Wahl getroffen.
Spence schaute hinunter auf das Blatt Papier, das in die Royal eingezogen war. Sechs Jahre. Sechs Jahre und alles was er vorweisen konnte, steckte in diesem Absatz, den er dreihundert Mal umgeschrieben hatte. Es war derselbe Absatz, mit dem er Bridget zum ersten Mal rumgekriegt hatte und den er nie im Leben seinem Agenten oder Herausgeber vorlegen würde.
Er hatte gewusst, dass es an der Zeit war, alles hinter sich zu lassen, nach einer neuen Perspektive zu suchen, diese geheimnisvollen Musen herbeizurufen. Und wenn es einen Ort gab, an dem er die Magie wieder aufleben lassen konnte, dann war es Korban Manor.
Er legte die Finger auf die Tasten. Im Badezimmer wurde die Dusche angestellt und Bridget begann, mit ihrer dünnen, hübschen Stimme zu singen. »Stand by me«, den alten Klassiker von Ben E. King. Er tippte »Stand by me« unter seinen einleitenden Absatz, biss dann die Zähne aufeinander und zog die Seite mit einem Ruck aus der Schreibmaschine. Er zerriss das Blatt in vier Teile und ließ die Schnipsel auf den Boden rieseln.
Spence lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute aus dem Fenster. Die Baumwipfel wogen sich im Wind, der mit dem näher rückenden Sonnenuntergang aufgezogen war. Er stellte sich den Geruch des Herbstes vor, von angeschlagenen, süßen Äpfeln, die unter den Bäumen lagen, von Birkenblättern, die unter der Sohle schwerer Stiefel knirschten, von Kirschbaumrinde, die zerbarst und gummiartigen, mit Juwelen durchsetzten Saft freigab, von Kürbiskuchen und von Rauch, der aus dem Schornstein aufsteigt. Wenn er doch nur die richtigen Worte finden würde, um diese Dinge zu beschreiben.
Spence richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Porträt von Korban, das an der Wand hing. Er dachte darüber nach, ins Badezimmer zu gehen und dabei zuzusehen, wie Bridget sich einseifte. Doch sie könnte versuchen, ihn in Fahrt zu bringen. Jedes neue Mädchen dachte, sie wäre diejenige unter Dutzenden, die es schaffen könnte, den – wie er es nannte – »Hemingway-Fluch« zu brechen.
Und mit jedem neuen Versagen stieg in Spence wieder Wut auf und er fühlte sich gedemütigt. Gleichwohl er Zorn als sehr angenehm empfand, verabscheute er jedoch die Erniedrigung.
Er stieß ein unterdrücktes Fluchen aus und legte ein neues Blatt Papier in die
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