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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Schreibmaschine ein. Das Papier war schwer, eine zwanzigprozentige Baumwollmischung. Wertvolles Papier. Hochmütiges, mühseliges Papier.
    Die Worte würden kommen. Sie mussten kommen. Er befahl ihnen, zu kommen.
    Spence starrte in Korbans Gesicht. »Was soll ich schreiben, Sir?«
    Das Porträt starrte mit seinen ölschwarzen Augen zurück.
    Spences Finger schlugen auf die Tasten, das Rattern vibrierte durch den Schreibtisch hindurch und hallte vom Holzfußboden zurück. Alle dreißig Sekunden ertönte das Klingeln des Wagenrücklaufs.
    Das Haus lag inmitten sanft wogender Hügel, schmiegte sich zwischen Dünungen, thronte über Flüssen, über der ganzen Erde, erhob sich an einem Ort, an dem nur die Götter verweilen können. Und in dem Haus, an dem hohen, einsamen Fenster, von dem aus er die Welt sehen konnte, die seine eigene werden würde, stand der Mann und lächelte.
    Sie waren gekommen. Sie, die ihm das Leben schenken würden, waren seinem Ruf gefolgt. Sie würden seine Lieder singen. Sie würden seinen Namen in ihre Herzen ritzen. Sie würden ihn in den Himmel malen. Sie kamen mit ihren Gedichten, ihren Bildern, ihren fiebrigen Worten, ihren Träumen. Sie kamen mit Geschenken, und auch er würde ihnen Gaben überreichen—
    Spence war so in das Schreiben versunken, wie er es seit Jahren nicht gewesen war. Er bemerkte nicht einmal, dass Bridget nackt und dampfend das Zimmer betrat. Er arbeitete wie im Wahn, seine Zunge drückte gegen seine Zähne. Das Geschenk kam zurück, floss wie Blut durch längst vergessene Venen. Er wusste nicht, wem er danken sollte – Bridget, Korban oder einer unsichtbaren Muse.
    Darüber würde er sich später Gedanken machen. Jetzt trugen die Worte Spence über sich selbst hinaus.

10. KAPITEL
    A nna schaute auf ihren Teller. Die Hochrippe dampfte verführerisch und gab würzigen Bratensaft ab. Normalerweise würde sie jetzt alle ihre Prinzipien als Vegetarier über Bord werfen. Ein paar Mal hatte sie mit der Gabel in den gedünsteten Brokkoliröschen und den roten Kartoffeln herumgestochert. Die Kruste des Apfelkuchens war so zart, dass sie sich in Flocken auf ihrem Porzellanteller verteilt hatte.
    Während sie zusah, wie sich die zuckrige Lava der Kuchenfüllung zwischen die Krümel ergoß, fragte sie sich, wie es wohl wäre, sich über seine Ernährung Gedanken machen zu müssen. Sie spähte hinüber zu Jefferson Spence und konnte kein Zögern in der Gabel des Mannes erkennen. Hastig aß sie ein paar Bissen von dem Gemüse und schob das Essen dann ein wenig auf dem Teller herum, damit es so aussah, als hätte sie gut gegessen. Was das Abendessen anging, machte Miss Mamie solch ein Theater, dass sich Anna beinahe schuldig fühlte, dass sie das Essen nicht zu schätzen wusste.
    Das Speisezimmer war ein großer Saal direkt neben dem Hauptfoyer. Im Zimmer standen vier Tische. An der langen Tafel in der Mitte saßen die Leute, die Anna insgeheim als »die Überkulturellen« bezeichnete. Die anderen, kleineren Tische waren in die Ecken verbannt worden. Augenscheinlich hatte Miss Mamie versucht, Gäste mit ähnlichen Interessen zusammenzusetzen, als sie die Tischordnung erstellt hatte. Das bedeutete, dass alle unter fünfzig Jahren an den kleineren Tischen Platz zu nehmen hatten.
    Anna saß mit Cris und der dunkelhäutigen Frau zusammen, die sie vorher mit einer Kamera in der Hand gesehen hatte. Links von ihr saß der Typ, mit dem sie auf der Veranda geredet hatte, dieser mürrische Bildhauer. Obwohl an seinem Gesicht nichts Außergewöhnliches oder Auffälliges war, zog irgendetwas in seinen grünbraunen Augen immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Stille Wasser waren tief. Oder vielleicht war es auch nur das Spiegelbild der zwei Kerzen, die in der Mitte des Tisches brannten. Oder eine Illusion, die aus ihrer verzweifelten Einsamkeit erwachsen war.
    Cris hatte vor dem Essen ein Gebet gemurmelt. Auch die dunkelhäutige Frau hatte den Kopf hinuntergebeugt. Anna fühlte sich nicht veranlasst, an ihrem Ritual teilzunehmen und nutzte stattdessen die Gelegenheit, sich aufmerksam ihre Gesichter anzusehen. Der Bildhauer hatte seinen Blick gesenkt, jedoch nicht die Augen geschlossen. Dann sah Anna, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte: Eine Fliege umrandete den Rand seines Tellers und tauchte zögerlich einen Flügel in die braune Sauce.
    Sie unterdrückte ein Lächeln, als er verstohlen versuchte, sie wegzublasen. Als Cris »Amen« sagte, nahm er schnell die Stoffserviette von seinem

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