Die Tunnel der Seele
sich ihren Weg in ihre Haut.
Du dumme Göre. Hast dich wohl geirrt! Du dachtest, der Tod wäre bitterkalt, aber falsch gedacht! Er ist glühend heiß und dieser Tunnel ist so tief—
Beharrlich zerrte die Hand um ihren Knöchel weiter an ihr. Dann spürte sie eine Hand an ihrer Schulter.
Und irgendwo über ihr ertönten Worte, die klangen wie aus dem Mund eines geistesgestörten Engels: »Weiche Frost, weiche Frost, weiche Frost.«
Die Schmerzen ließen nach, alles was blieb, war tiefe Finsternis.
32. KAPITEL
D en Baumstamm auf den Wagen zu laden, um ihn dann zum Anwesen zu transportieren und anschließend die Treppen hinunter in den Keller zu hieven, hatte sich als verdammt schwierig erwiesen. Ransom hatte sich geweigert, den Stamm quer durchs Haus zu tragen, aber Miss Mamie hatte einige Trunkenbolde aus dem Studierzimmer aufgescheucht und um Hilfe gebeten. Paul, Adam, William Roth, Zainab und sogar Lilith packten mit an. Es grenzte an ein Wunder, dass der schwere Baumstamm nicht auf ihre Füße plumpste, aber schließlich stand er aufrecht, gestützt von alten Holzbrettern und gehalten von mehreren Strippen, die an Nägeln in den darüber liegenden Balken befestigt waren.
»Ich hoffe, diese Statue wird all den Ärger wert sein«, rief Miss Mamie von den oberen Treppenstufen, bevor sie die Tür zuschlug und Mason allein ließ.
Nein. Nicht allein.
Er hob das Leintuch hoch. Das Gesicht von Ephram Korban starrte ihn an. Hatte Mason wirklich ein derart süffisantes, perfektes Abbild geschaffen? Aber sein Werk war noch nicht vollendet. Jetzt, da Korban ein Gesicht hatte, brauchte er auch Beine, Arme, Hände und ein Herz aus Eichenholz.
Dies sollte die Skulptur werden, mit der sich Mason Beaufort Jackson die Hochachtung und Wertschätzung der Presse verdienen würde. Zum Teufel mit all den Künstlermagazinen. Mit diesem Prachtstück würde er direkt auf den Seiten führender Nachrichtenblätter landen. Vor seinem geistigen Auge sah Mason schon den Wortlaut der lobpreisenden Zeilen aufblitzen, allen voran den folgenden Artikel.
JUNGE AUS TEXTILSTADT STARTET DURCH
Wenn Sie von einem Bildhauer namens Mason Jackson hörten, würden Sie wohl davon ausgehen, dass es sich hier um einen
Künstlernamen
handelt.
(Moment mal, spricht man nicht eher von einem Pseudonym? Okay, darum kümmert sich dann der Autor.)
Doch an diesem aufstrebenden Bildhauer ist alles echt. Der junge Künstler aus dem Süden des Landes wurde schon der »Michelangelo aus den Appalachen« genannt. Mögen auch seine Wurzeln in der Heimat des schwarz gebrannten Schnaps und der steilen Skihänge liegen, so sind seine Hände doch eher göttlicher Natur. Seine Werke aus der Serie »The Korban Analogies«, die im Museum für Zeitgenössische Kunst in Philadelphia ausgestellt sind, haben schon viel Beifall geerntet und werden schon bald auch London und Paris erobern, wo der unscheinbare Mann von den Kritikern bereits als Genie gehandelt wird.
Jacksons Glanzleistung ist das imposante Werk »Korban Emerging« (linkes Bild), das der Künstler selbst als »Produkt halbgöttlicher Weisung« bezeichnet. Die maskuline und wuchtige Gestaltung á la Rodin hat selbst die schärfsten Kritiker beeindruckt, aber Jacksons Arbeit hat vor allem die Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Person erregt.
Kein geringerer als Winston DeBussey bezeichnete seine Werke als tadellos. Für ihn ist Mason ein »verblüffender Meister« des Material Holzes, an das sich heutzutage nur wenige Künstler heranwagen.
»Es scheint fast so, als ob das menschliche Gewebe mit der Maserung verschmilzt«, schwärmt DeBussey. »Jackson haucht der kleinsten Faser Leben ein. Beim Blick nach unten könnte man fast meinen, Wurzeln zu sehen, so als ob die Statue sich immer wieder aus den Säften und Mineralien der Erde speist.«
Jackson jedoch geht mit diesem Lob ganz unbefangen um, lässt kaum hinter seine Fassade blicken.
»Die Entwürfe für die einzelnen Werke entspringen alle einer Vision aus einem Traum«, erläutert Jackson bei einem Interview in seinem Bauernhaus mit Atelier in Sawyer Creek, einer kleinen Textilstadt in den Hügeln von North Carolina. »Ich habe mit diesem Teil des Schaffensprozesses überhaupt nichts zu tun. Meine Aufgabe besteht darin, diese zerbrechliche Gabe anzunehmen und darauf zu achten, dass diese unbeholfenen menschlichen Hände die geistigen Bilder nicht falsch interpretieren. Denn der Traum hat das Sagen und nicht der Träumer.«
Hätte Mason derartige
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