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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Gedanken laut geäußert, würde Junior Furman ihn mit den Ellbogen in die Rippen boxen und Mutter würde ihm verbieten, öffentlich-rechtliches Fernsehen zu schauen. Für solchen Unsinn würde er in der Textilfabrik, in der er mehr zu Hause war als in jedem Kunstmuseum dieser Welt, belächelt werden. Er könnte sich selbst einreden, er wäre gut, aber andere davon zu überzeugen war deutlich schwerer. Wenn er die ganze Welt blenden wollte, musste er dieses monströse Stück Eichenholz, das jetzt vor ihm thronte, in das ansehnlichste, bemerkenswerteste Traumbild verwandeln, das er jemals ersonnen hatte.
    Dafür musste er zunächst die Rinde abziehen.
    Dann den Mann im Innersten finden.
    Er hob die Axt, schaute in die dunklen Ecken des Kellers. Er gehörte nicht in die Fabrik. Das hier war es, wofür er geboren war. Das hier war der Grund, warum er nach Korban Manor gekommen war. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so lebendig gefühlt.
    Er erinnerte sich an Annas Worte, wie sie behauptete, dass der Geist von Ephram Korban in diesen Mauern weiterlebte. Dass eine Seele vielleicht nicht mehr als die Summe der Träume eines Sterblichen ist. Dass Träume lügen können. Dass Träume sich in Staub und Asche auflösen können.
    Nein, dieser Traum war real.
    Die Axt schlug in das Holz.

33. KAPITEL
    D ie knöcherne Hand auf Annas Schultern zerrte sie an ihrem Shirt nach oben. Nun war sie dem Geist also vollends ausgeliefert. Jetzt also würde sie herausfinden, wie es ist, tot zu sein. Vielleicht war sie ja schon ein Geist, denn die schlimmsten Schmerzen waren bereits aus ihrem Körper gewichen.
    Anna bemühte sich, aufzustehen, aber ihre Beine fühlten sich an wie kalter Rauch. Auf ihren blutigen Knien kauernd suchte sie zwischen den kaputten Brettern nach Halt. Sie schlug ihre Lider auf, um dem toten Etwas und damit den Tatsachen ins Auge zu sehen. Sie würde sich ihrem Schicksal fügen und in den dunklen Tunnel kriechen.
    Aber es war nicht der heimtückisch grinsende Geist, der sie festhielt. Es war eine alte Frau.
    »Sie sollten ein bisschen besser auf sich aufpassen«, sagte sie.
    Ihr Gesicht war von tiefen Falten zerfurcht, im Mondlicht glänzten ihre geschwollenen Beine, ihre Augenbrauen waren so weiß wie Schnee. Zwischen all den Runzeln jedoch stachen ihre blauen, klaren Augen hervor, strahlten Frische und Lebendigkeit aus. Und Anna erkannte den Schal, der um die greisenhaft gekrümmten Schultern der Frau drapiert war.
    »Sie waren in der Hütte—»
    »Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Ich habe gesehen, was Sie gesehen haben, und wir beide haben viel zu viel gesehen. Lassen Sie uns von hier verschwinden, dann können wir uns ungestört unterhalten.«
    Anna stand auf, stieß die kaputten Bretter von ihren Beinen. Die Schmerzen waren verflogen, das quälende Feuer um ihren Knöchel erloschen. Der Mond stand jetzt höher, hatte schon fast den höchsten Punkt seiner Bahn erreicht.
    Anna begutachtete den Trümmerhaufen. Das alles könnte nur ein Traum gewesen sein, wenn da nicht ihre zerfetzte Haut und die zerrissenen Klamotten wären.
    »Kommen Sie da weg, George wurde schon geholt, aber das heißt noch lange nicht, dass auch Sie schon gehen müssen«, meinte die Frau.
    Sie führte Anna von dem eingestürzten Gebäude fort. Für jemanden, der allem Anschein nach weit über 80 Jahre alt war, zeigte sie sich erstaunlich stark. Anna staunte, wie sie mit der Wendigkeit einer jungen Bergziege über die glatten Felsen huschte und sich dabei trotzdem noch wie eine zerbrechliche Greisin auf einem dicken Stock abstützte. Anna suchte nach ihrer Taschenlampe, aber wahrscheinlich war sie im dornigen Gestrüpp auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Sie eilte der Frau hinterher.
    Auf einer Felstafel hielt die Alte inne und schaute über die schier endlose Weite der Berge hinweg. Obwohl der Himmel in ein fades Grau getaucht war, konnte Anna die wellenförmigen Erhebungen der unter ihr liegenden Landschaft erkennen.
    »Beinahe hätte Korban Sie erwischt«, sagte die Frau, ohne sich nach Anna umzudrehen. »Ich dachte, ich könnte Sie vorher noch warnen. Aber der alte Ephram war schon immer von der ungeduldigen Sorte.«
    »Sie meinen Ephram Korban?«
    »Den Meister dieses Anwesens, wie er sich gern selbst bezeichnet.«
    »Wieso reden Sie von ihm in der Gegenwart? Er ist doch tot.«
    »Als ob das von irgendeiner Bedeutung wäre.« Sie spuckte vom Felsen hinab in die darunterliegenden Baumwipfel.
    »Wer war die Frau, die ich gesehen

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