Die Tunnel der Seele
bisschen ausdauernder und greller, mit Worten kaum zu beschreiben. Aber es schwang auch ein Lachen darin mit. In diesem Moment wusste ich, dass es nicht einfach werden würde, Ephram Korban loszuwerden.«
Anna nickte. Sylva konnte aus ihrem Gesicht ablesen, dass sie nachdachte, versuchte, das Gehörte zu verarbeiten und aus den vielen Puzzleteilen ein großes Ganzes zu bilden. Es fühlte sich gut an, nach all den Jahren endlich mit jemandem darüber zu reden. Vielleicht konnte sie ja dadurch, dass sie ihr Herz ausschüttete, unbeschwert und in Frieden sterben. Vorausgesetzt, ihre letzte Stunde würde jemals schlagen. »Was war mit Ihrem Baby?«, wollte Anna wissen.
Sylva starrte ins Feuer. Sie war müde, zermürbt von der Last dieses Fluchs, der sie nun schon mehr als ein Jahrhundert lang verfolgte. Die Kontrolle über sie zu behalten war in all der Zeit nicht einfach gewesen, vor allem als sie plötzlich in der Überzahl waren. Sie hoffte, dass ihre Zauberkräfte und ihr Glaube ausreichen würden, um gegen die vielen Geister anzukommen, die in dieser winzigen Hütte ihr Unwesen trieben. Dieser Platz war ein Versammlungsort der toten Seelen.
»Die Sonne geht auf«, wich sie Annas Frage aus. »Wir sollten jetzt in Sicherheit sein. Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang?«
37. KAPITEL
D iese verfluchten Vögel.
William Roth hatte gehofft, einen Rotschwanzbussard im Flug zu erwischen, oder zumindest einen farbenfrohen Blauhäher oder Kardinal vor die Linse zu bekommen. Die Natur hatte es so eingerichtet, dass die Männlein bunt geschmückt sind, während sich die Weibchen dezent und unscheinbar im Hintergrund halten. Wenn man das nur auch von der menschlichen Spezies behaupten könnte. Cris und dieser geheimnisvollen Zainab war genauso schwer beizukommen wie diesen dämlichen Vögeln hier in den Appalachen. Das einzige Federvieh, was in dieser Gegend durch die Lüfte kreiste, waren Raben. Schwarz und hässlich wie die Nacht, als ob sie auf eine Beerdigung warten würden, starrten sie aus den Baumwipfeln auf ihn herab.
Durch sein Objektiv erblickte Roth die aufgehende Sonne. Die üppigen Rundungen dieser Gegend erinnerten ihn an die Bergwelt Schottlands. Dann würde er eben ein paar Landschaftsaufnahmen schießen, das war immer gutes Futter für Reisemagazine und ähnliche Hefte. Wenn ihm schon kein Glück mit den Vögelchen beschieden war, so hatte der doch noch immer dieses Ass im Ärmel.
Er trat zwischen den Bäumen hervor, direkt an der Stelle, wo die hölzerne Brücke über das weitläufige, von kargen Granitfelsen und stacheligen Büschen durchzogene Tal führt. Dort unten plätscherte ein silbern glänzendes Bächlein, bahnte sich durch Schutt und Geröll hindurch seinen Weg zum endlosen, weiten Ozean. Korban verstand es zu leben, das stimmte. Errichtete auf dem Dach der Welt ein schmuckes Anwesen, ließ sich von einer Schar junger Hausmädchen bedienen, mimte den großen Künstler und genoss sein Leben in vollen Zügen. Wer kann es diesem Typ schon verübeln, dass er auf all diese Annehmlichkeiten nicht verzichten wollte? Wenn Roth Korban wäre, würde er sich bestimmt auch in einen Geist verwandeln und da draußen herumspuken.
Roth musste feixen. Geister, was für ein Blödsinn! Er hatte Fotos gesehen, auf denen angeblich Geister abgebildet waren. Roth kannte diesen Trick. Man musste nur ein wenig mit dem Licht in der Dunkelkammer spielen. Er würde nicht mal eine Stunde benötigen, um Hunderte verschiedener doppelt oder dreifach belichteter Bilder hervorzuzaubern. Dafür bräuchte er nicht einmal eine Digitalkamera oder einen Computer. Er könnte Elvis auf den Mond verbannen, Ephram Korban über den Landsitz schweben lassen, den Kopf von Cris Whitfield auf dem nackten Körper von Marilyn Monroe platzieren.
Nun,
das
würde sich doch mal lohnen. Oder wie wäre es mit der Gespielin von Spence, die er kurz vor dem Morgengrauen beobachtet hatte, wie sie mit leerem Blick durch die Korridore geeilt war? Spence hatte es wohl ein bisschen zu toll getrieben, wie die hübsche blaue Beule in ihrem Gesicht verriet. Roth könnte sich doch mit seiner Kamera in ihrem Badezimmer verstecken und den alten Bastard auf frischer Tat dabei ertappen, wie er sich an ihr verging. Könnte ihn dann mit dem Foto erpressen oder es an die Schmierblätter verkaufen. Geniale Idee!
Er ging auf die Brücke, nahm ein größeres Objektiv und spulte den Film vor. Die Luft war erfüllt von einem rauen Wind, der einem fast den Atem
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