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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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sie nicht einmal für einen Umhang aus gesponnenem Gold eingetauscht hätte.
    »Eine Hasenpfote?« Anna runzelte die Stirn.
    »Nicht irgendeine Hasenpfote. Dies ist der linke Hinterfuß eines Friedhofhasen, der im Winter um Mitternacht gefangen wurde.«
    »Wieder eines dieser alten Zeichen, von denen Ransom mir erzählt hat.«
    »Diese Dinge besitzen nur so viel Macht, wie man ihnen zugesteht. Es kommt stets darauf an, wie stark man an sie glaubt.«
    Anna stellte ihren Becher auf den ungeschliffenen Tisch. Obwohl sie ganz nah am Feuer saß, zitterte sie am ganzen Leib. »Was für eine Nacht. Ich fühle mich, als ob ich tausend Jahre alt wäre.«
    »Alt? Ich vermute mal, Sie würden mir nicht glauben, dass ich grob geschätzt einhundertfünf Jahre alt bin. Ich kann es ja selbst kaum fassen. Ich achte auf meine Gesundheit und so, aber ich befürchte, es hat auch ein bisschen mit Korban zu tun. Als ob er mein Leben in die Länge zieht, damit ich nicht eines natürlichen Todes sterbe, bevor er fertig mit mir ist.«
    Anna stützte ihr Kinn auf den Händen ab. Das Feuer spiegelte sich in ihren blaugrünen Augen.
    Mein Gott, diese Augen. Haargenau wie die von Rachel. Sie sieht ihr so ähnlich, wie ihr Ebenbild.
    »Was will Korban eigentlich?«, fragte Anna. »Ich beschäftige mich nun schon sehr lange mit Geistern, aber die meisten, denen ich hier begegnet bin, scheinen wohl eher flüchten zu wollen. Aus dieser Welt, meine ich.«
    Gemeinsam blickten Sylva und Anna in das Feuer. Die ersten Sonnenstrahlen schienen jetzt durch das Fenster, aber noch immer lag das Zimmer im Dunkeln, als ob die Nacht sich weigerte, dem Tag das Regiment zu überlassen.
    »Korban will alles zurück. Alles, was jemals ihm gehörte, und noch ein bisschen mehr.«
    »Aber warum?«
    »Warum?« Sylva hatte in den letzten Jahren viel über diese Frage nachgedacht, kannte jedoch noch immer nicht die richtige Antwort darauf. »Ihn als böse zu bezeichnen, wäre zu einfach. Vielleicht war er zu seinen Lebzeiten böse, aber jetzt ist es weit mehr als das. Er besaß gern Dinge, legte sie sich so zurecht, dass sie in seine Welt passten. Ich vermute mal, das tut er noch immer. Aber ist man böse, wenn man an allem festhält, das man jemals geliebt hat?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals geliebt wurde.«
    Diese Worte trafen Sylva mitten ins Herz. Korban hatte Anna aus einem ganz bestimmten Grund zurückgeholt, ganz gleich, was Rachel dagegen unternehmen würde. Vielleicht kann einfach niemand von hier entkommen, egal ob tot oder lebendig.
    »Ephram …« Sylva hielt inne. Sie fühlte sich wieder wie damals als Sechzehnjährige. Unsicher und hilflos, aber voller Leidenschaft. So als ob sie und die Welt jung, unschuldig und noch voller Hoffnung wären. »Ich habe Ephram geliebt. Er wurde von allen geliebt. Von allen Frauen, meine ich. Er war ziemlich attraktiv, aber es war nicht nur sein Aussehen. Er hatte irgendetwas an sich, eine magische Anziehungskraft. Keine konnte ihm lange widerstehen. Ich habe eine Stelle als Hausmädchen angetreten, wie viele andere Frauen auch, die damals auf dem Berg lebten. Die Männer waren damit beschäftigt, das Grundstück in Schuss zu halten und für Ordnung zu sorgen. Niemand sagte irgendetwas, als Menschen begannen zu sterben. Bei dem einen löste sich der Kopf seiner Axt und spaltete seinen Schädel. Der andere wurde von einem Baumstamm begraben. Oder man fand in einem der Teiche eine Leiche, das Gesicht aufgedunsen, die Zunge blau geschwollen. Wir redeten uns ein, dass dies alles Unfälle waren. Eine Verkettung unglücklicher Umstände. Einfach Pech. Aber wir alle wussten es besser.«
    Sylva krallte ihre Fäuste in ihre Brust. Was sie gleich erzählen würde, hatte sie noch niemandem anvertraut. Es war in ihrem Unterbewusstsein begraben wie eine Eidechse in einer schlammigen Felsspalte. Aber dieses junge Ding hier hatte weitaus mehr durchzustehen. Sylvas eigene Qualen wirkten im Vergleich zu dem, was Anna aushalten musste, fast lächerlich.
    »Eines Nachts erlosch sein Feuer. Ich war zu Tode erschrocken. Denn meine wichtigste Aufgabe lautete, das Feuer zu schüren. Darauf zu achten, dass es niemals ausgeht. Ephram erinnerte mich jedes Mal daran, wenn ich ihn sah, obwohl das nicht sehr oft vorkam. Aber ich kann mich an jede einzelne Begegnung mit ihm erinnern, vor meinem geistigen Auge spielten sich die Szenen immer wieder ab, ich spürte sein Gesicht und seine Hände, hörte seine Stimme, bis mein Herz schmerzte. Ich

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