Die Tunnel der Seele
bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur mir, sondern auch den anderen Frauen so ging.«
Sylva verstummte. Selbst nach all den Jahren sah sie diesen Moment lebhaft vor sich. Eine warme Welle der Leidenschaft durchflutete ihren Körper, wurde aber von dieser zerreißenden Furcht hinweggespült. Ihre Augen waren verschleiert, doch dieses Mal kämpfte sie nicht gegen die Tränen an, sondern ließ ihnen freien Lauf.
»Ephram, er war im Zimmer. Aber es war, als ob sein Leben an dem Feuer hing. Er lag auf dem Bett und rang nach Luft. Und ich hatte solche Angst, Sie können sich nicht vorstellen, wie groß meine Angst war.«
Sylva schniefte. »Aber vielleicht ja doch. Sie hatten ja gerade selbst einen Zusammenstoß mit ihm. Jedenfalls zwang er mich, das Feuer zu entfachen und diese Worte zu sagen, die ich niemals hätte sagen dürfen.«
Anna legte die Hand auf Sylvas Knie, um sie zum Weitererzählen zu ermuntern.
»Als das Feuer schließlich wieder aufflackerte, kam Ephram auf mich zu. Er nahm mich in seine Arme und ich schaute in diese schwarzen Augen. Ich hätte alles für diesen Mann getan. Und dann küsste er mich und tat alles mit mir, was er wollte. Das Schlimme war, dass ich es genauso wollte wie er. Als es vorbei, schickte er mich hinaus. Sagte kein Wort, knöpfte einfach seine Hosen zu und stocherte ein bisschen im Feuer herum. Ich war eine Beute, die er nur zum Vergnügen erlegt hatte. Danach konnte ich ihm kaum noch in die Augen sehen, so eingeschüchtert war ich. Hatte einerseits Angst, dass er mich wollte, fürchtete mich andererseits davor, dass er mich ablehnte. Aber einige Wochen später blieb meine Monatsblutung aus. Herrgott nochmal, war ich in Panik! Da es jedoch keine weiteren auffälligen Anzeichen gab, machte ich einfach weiter wie bisher, hoffte und betete. Monate vergingen, es wurde Winter und dann Frühling. Zu Beginn des Sommers fing mein Bauch an zu wachsen, aber wirklich nur ein winziges Stück. Da wusste ich es. Und ich wusste, dass irgendetwas nicht stimmte, so langsam wie es voranging.«
In diesem Augenblick überschlug sich Sylvas Herz. Erneut wurde sie von dieser alten Furcht übermannt, von dieser vergeudeten Liebe innerlich zerfressen. Anna drückte ihre Hand. Dadurch beruhigte sich Sylva ein wenig. Sie musste das tun, das war sie ihnen beiden schuldig.
»Korban stieg gern mitten in der Nacht auf das Dach des Hauses. Hoch auf den Witwensteg. Man munkelte, dass er dort zu den dunklen Mächten sprach, zu unsichtbaren Kreaturen, die durch die Finsternis umherstreiften. Aber ich wusste, was er wirklich tat. Er beschwörte seine Handlanger herauf, rief sie aus der anderen Welt zu sich. Zwang sie, für ihn seine Drecksarbeit zu erledigen. Machte sie sich mit seinem Zauber gefügig. Eines Nachts bin ich ihnen nachgeschlichen. Es war Vollmond, der zweite im Oktober, genauso wie morgen Nacht. In der Luft lag der Geruch von Sassafras und der Tau war so dicht, dass man ihn auf der Haut spüren konnte. Die kleine Falltür, die auf das Dach führte, stand offen, also lugte ich hindurch und sah ihn an der Brüstung stehen, in das finstere Nichts der Nacht schauend.«
Das Feuer knisterte und zischte. Sylva schloss die Augen und fuhr mit ihrer Geschichte fort, bevor Korban stark genug war, sie davon abzuhalten.
»Ich ging vorsichtig hinauf auf den Witwensteg. Er stand noch immer mit dem Rücken zu mir. Oben angekommen schlug mir ein heftiger Wind ins Gesicht. Es war so stürmisch, dass man sich kaum auf den Beinen halten konnte. Als ob der Himmel seinen ganzen Atem auf einmal ausstieß. Ich rannte zu Ephram, meine Sachen flatterten in der steifen Brise. Gerade in dem Moment, als ich bei ihm angekommen war, drehte er sich um.«
Annas Mund war geöffnet, in ihren Händen hielt sie lose umklammert den Becher. Das Feuer spuckte einen Funken Asche in Annas Richtung, den Sylva mit ihrem Schuh abfing und austrat.
Das war ein todsicheres Zeichen, dass man sterben würde. Wenn das Feuer seine Glut aussendet, bist du erledigt.
»Was passierte dann?«, fragte Anna mit weit aufgerissenen Augen. Fast hätte man meinen können, sie beide säßen irgendwo auf einer Veranda und erzählten sich gegenseitig erfundene Geistergeschichten.
»Ich schubste ihn über die Brüstung. Und er ließ mich gewähren. Versuchte nicht, mich daran zu hindern. Lächelte nur, als er nach hinten fiel. Stieß einen Schrei aus, der wie der eines Hasen klang, der von den scharfen Krallen eines Uhus im Nacken gepackt wird. Nur ein
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