Die Ueberbuchte
stillen Wintermonate gefreut hatte, um allein, nur sich selbst überlassen zu sein? Wie sehr hatte er doch gerade zum Abschluss der Saison, in fast übertriebener Gier die Tage gezählt, um endlich wieder einmal allein sein zu können. Und nun, bei dem Gedanken, womöglich von heute auf morgen für immer diesem Alleinsein ausgesetzt zu sein, erschreckte ihn das zutiefst. Ständig allein in dieser Wohnung, eingeengt zwischen diesem unübersehbaren Häusermeer – unvorstellbar.
Von diesem Gedanken getrieben, stand er auf und lief ruhelos im Zimmer auf und ab. Er wischte sich über die Stirn, die sich feucht anfühlte, und musste plötzlich an die stolzen Worte seines Bruders denken, als er ihm damals, eben dieses, sein soeben fertiggestelltes Haus vorstellte: »Unser Heim, eine winzige grüne Oase inmitten der lauten, zubetonierten Großstadt!«, hatte er gerufen. Wie wahr! Wie wahr! Und selbst die winzige Grünfläche hinter dem Haus, bedeutete für sie eine Art köstliches Himmelreich. Und er erinnerte sich, als Franziska, seine Schwägerin, ihm die ersten Blumen ihres Gartens, in voller Blüte präsentierte; wie stolz war sie darauf, auch wenn sie sie nicht selbst gepflanzt hatte. O ja, auch er hatte den erfreulichen Anblick zwischen dem nur wenig entfernte Häusermeer, wie ein Auserwählter genossen – und nun begann ihn genau das, die Luft zum Atmen zu nehmen. Aber warum? Warum jetzt, nach so vielen Jahren?
»Hallo, Knut! Du bist schon zurück?«, hörte er Franziska von der Tür aus sagen.
Er wandte sich um und ging ihr mit ausgestreckten Händen, erleichtert entgegen. »Wie gut dich zu sehen, meine Liebe«, umarmte er sie kurz.
»Nanu, so impulsiv heute!«, sagte sie mit großen erstaunten Augen.
Knut lachte. »Du musst wissen, liebe Franziska, dass ich eine Reihe von Tagen rund um die Uhr aufopfernd versorgt wurde. Was so viel heißt, dass ich ständig von liebevollen Menschen umgeben war – das verwöhnt mächtig.«
Franziska lachte nicht. Sie sah ihn höchstens noch erstaunter an. »Und du bist dir ganz sicher, dass du nicht etwa wieder krank bist? Denn dass du diese Art von Verwöhnung als schön empfinden könntest, darauf wäre ich nie im Leben gekommen.«
Nun war auch Knut das Lachen vergangen. Er sah an ihr vorbei zum Fenster hinaus, als er erwiderte: »Du hast ja recht, ich rede neuerdings oftmals einen Unsinn zusammen …! Ich empfinde Angst, vor etwas, dass ich nicht kenne; ich träume, von etwas dass sich nicht beschreiben lässt; ich sehne mich nach etwas, dass mir gewöhnlich eher lästig erschienen ist, und ich denke plötzlich über tausenderlei Dinge nach, über die ich noch nie nachgedacht habe. Verstehst du das …?«
Sie ging zu ihm, legte ihre schmale Hand auf seine Schulter und sagte ruhig: »Ich weiß zwar nicht, was dich wirklich quält, aber da es nun einmal so ist, würde ich sagen; es ist das Leben. Jeder verändert sich im Laufe des Lebens, manche mehr und manche weniger. Manchen mag es nicht einmal bewusst werden, und dennoch geschieht es. Du wirst dich mit dieser Veränderung abfinden müssen, wenn du nicht im Unfrieden mit dir selbst leben willst.«
»Das sagt sich so einfach – ich weiß ja weder was ich will, noch was ich damit anfangen soll. Ich weiß nur, dass mich eine Menge anödet, was mich gewöhnlich erfreut hat und umgekehrt. Irgendetwas stimmt nicht mit mir – nur was?«
»Das wird dir mit der Zeit schon noch klar werden, davon bin ich fest überzeugt«, sagte sie mit einem leichten Anflug von Spott. »Jetzt aber mal was anderes, aus deinen Äußerungen geht hervor, dass es dir zu Hause ganz gut gefallen hat; aber wie geht es nun deiner Mutter?«
»Siehst du«, sagte Knut sichtbar verärgert, »vor lauter Selbstdarstellung, vergesse ich bereits das Wesentliche. Mutter geht es soweit ganz gut, nur, sie ist sehr gealtert – fast schon erschreckend gealtert. Wobei ich einräumen muss, dass ich sie, im Gegensatz zu Dagmar, längere Zeit nicht gesehen habe … Doch Dagmar war direkt entsetzt.«
»Wieso Dagmar, war sie denn mit anwesend?«
»Nein. Ich habe auf der Rückfahrt Mutter mit zu ihr genommen«, erklärte er.
»Aha, ich verstehe«, nickte Franziska. »Und wie geht es den anderen?«
»Gut natürlich. Naja, bis auf einige Unebenheiten zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, die aber eher ganz normal sein dürften.« Und so erzählte er ihr stichpunktartig, was sich während seines Besuches zugetragen hatte.
Franziska hatte ohne zu unterbrechen
Weitere Kostenlose Bücher