Die Ueberbuchte
Mensch, dieser Schönheit im vollen Umfang gerecht werden kann, das wird sie erst noch beweisen müssen. Sie scheint zumindest in dieser Hinsicht, bereits die ersten unschönen Erfahrungen gemacht zu haben; das wenigstens ist mein persönlicher Eindruck.«
»Dann bist du also doch der Meinung, dass sie nicht sonderlich zusammenpassen?«
Er stöhnte genervt auf. »Ich weiß es nicht – ich weiß es wirklich nicht«, beteuerte er händeringend. »Und um ganz ehrlich zu sein, es interessiert mich auch absolut nicht! Und wenn Uwe tatsächlich glaubt, dass Jane die Richtige für ihn ist, ja dann muss er auch dazu stehen – auch wenn er damit auf wenig Gegenliebe bei seinen Eltern hoffen darf. Halt eine Entscheidung, die ihm niemand abnehmen kann.«
»Wie ist das eigentlich, könntet ihr auch mal von etwas anderem reden, als über diesen verflixten Familientratsch?«, murrte Ernst.
»O je, du Ärmster«, drückte Dagmar im scheinheiligen Mitgefühl seinen Arm. »Wie schrecklich aber auch, da du ja tagtäglich mit diesen Familiendramen konfrontiert wirst.«
»Das halt …«, er ließ ergeben die Schultern sinken und murmelte: »Wenn du das brauchst, dann bitteschön.«
»Oh, was bist du heute wieder großzügig!«, spottete sie und küsste ihn herzlich.
Da aber schlug Knut vor: »Es ist ohnehin reichlich spät geworden, so sollten wir Ernst den Gefallen tun und ihn mit unseren Gequatsche verschonen und uns zur Ruhe begeben.«
»Na schön«, lenkte Dagmar ein. »Womit sich der Mann wieder einmal erfolgreich durchgesetzt hätte.« Und zu ihren Bruder gewandt sagte sie: »Und du willst morgen tatsächlich schon nach dem Frühstück nach Hause fahren?«
»Ja, meine Liebe, das muss sein. Außerdem war ich weit länger bei euch als vorgesehen war.«
»Dann sagen wir doch so«, warf Ernst ein, »dass das nächste Mal nicht mehr gar so lang auf sich warten lässt. Was hältst du davon?«
»Das wird sich mit Sicherheit einrichten lassen, schon um wieder einmal auf der Insel sein zu können.«
Wieder in Bremen, in seiner Wohnung angekommen – sah sich Knut beklommen um; kein Mensch war zu Hause, kein Laut, nichts. Niemand der: Hallo Knut! sagte. Die Luft im Zimmer war stickig und verbraucht. Er öffnete die Balkontür, wo sich sogleich ein Schwall lauter Verkehrsgeräusche in das bis dahin stille Zimmer ergoss. Er sah auf das nur wenige Straßen entfernte Geschäftsviertel, wo sich in dichter Reihenfolge Häuserzeile an Häuserzeile reihte, und dazwischen der endlos zähe Fahrzeugstrom. Zumal an so einem diesigen, wolkenverhangenen Tag wie heute, da konnte selbst die grellste Werbung an und auf den Häusern keinen freundlichen Effekt erzielen. Nur die vom feuchten Grau angefachte Eile war deutlich zu spüren. Eigentlich eine traurige Welt, die derart gehetzt im Banne des Erfolges mit der Zeit um die Wette lief. Das Seltsame aber daran war, dass er erst jetzt, als er unversehens zur Ruhe, zum Stillstand gezwungen war, bemerkte, mit welch einer Selbstverständlichkeit er von diesem abgehetzten Erfolgsstrudel mitgeschleift wurde – ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden. Und was ihn noch mehr in Erstaunen versetzte, war die Tatsache, dass er den weitaus größeren Alltagsstress in früheren Jahren, anscheinend überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte. Das war eben so – und damit hatte sich alles wie von selbst erledigt. Und nun auf einmal begann sich alles gegen ihn zu kehren, wurde pausenlos in Frage gestellt, was eigentlich längst zur Gewohnheit geworden war.
Den Blick vom lärmenden Großstadtgetriebe zurück ins stille Zimmer gewandt, bemerkte er den chaotischen Widerspruch, der sich ganz plötzlich zwischen dem Gestern und dem Heute auftat. Lag das nun tatsächlich nur an der sich ganz normal veränderten Altersstruktur? Oder war er wirklich jetzt erst erwachsen geworden?
Kopfschüttelnd ging er ins Zimmer hinein und ließ sich im Sessel nieder. Doch die Gedanken wollten nicht weichen, sie türmten sich wie diese gegenüberliegenden Häuserfassaden, in unüberwindbarer Größe vor ihm auf. Vielleicht war es auch nur die plötzliche Leere, die in der Enge der Stadt besonders sichtbar wurde. Und genau die war es, die ihn vor seinem Urlaub schon derart gequält hatte - und nun vom neuen begann.
Er schloss einen Augenblick lang die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Er marterte sein Hirn: wie war das eigentlich früher? War es da nicht vielmehr so, dass er sich immer ganz besonders auf die
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