Die Ueberbuchte
kleinen, je nach Sitzordnung sich ergebenen Grüppchen. Nur die Frau auf dem Beifahrersitz, mit ihrem gutsitzenden, graublauen Sommerkostüm und dem kurzgeschnittenen, leicht gewellten, graumelierten Haar, war allein geblieben.
»Warum so nachdenklich?«, sprach Knut sie von hinten her an, so dass sie leicht zusammenzuckte.
»Ach, Sie«, drehte sie sich herum und lächelte.
Er bot ihr eine Zigarette an.
»Nein, danke, ich rauche nicht.«
»Das habe ich auch schon des Öfteren versucht – aber Sie sehen ja, ohne jeden Erfolg.«
Einige der Fahrgäste näherten sich ihnen mit fragenden Gesichtern.
»Ich geh noch ein Stück«, sagte die Frau an seiner Seite und ging weiter.
Erst als die meisten Fahrgäste bereits im Bus Platz genommen hatten, ging auch sie, die einzelne Frau langsamen Schrittes auf den Bus zu. Sie brauchte sich keinesfalls zu beeilen, da sie sowieso erst als Letzte einsteigen konnte.
Man spürte sogleich, die Stimmung unter den Leuten hatte sich schlagartig verändert, es wurde nun ausgiebig erzählt und laut gelacht. Selbst dass Menschen, die sich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten, sich auf diese Weise urplötzlich wiederbegegneten, war durchaus keine Seltenheit; der Zufall machte es möglich.
Nach längeren Schweigen sagte Knut zu seiner Nachbarin geneigt: »Darf ich Sie mal um etwas bitten?«
Sie lächelte. »Und das wäre?«
Er zeigte nach hinten. »Ich sehe gerade, dass das Wasser heiß ist, da würde ich schon ganz gern, bevor wir in die Berge kommen, einen Kaffee trinken.«
»O ja«, sagte sie erfreut, »das würden sicherlich mehrere gern tun.«
»Dann sind Sie so freundlich?«
»Aber ja, warum denn nicht! Sie müssen mir nur sagen, wo ich die dafür notwendigen Sachen finden kann.«
»In dem Fach direkt über der Kaffeemaschine, da finden Sie alles Nötige und Unnötige.«
Kaum hatte die Frau mit ihrer Arbeit begonnen, wurden von überallher Stimmen laut, die ebenfalls nach Kaffee riefen. So hatte sie für das Erste einmal alle Hände voll zu tun, um alle zufriedenzustellen.
»Danke, das haben Sie großartig gemacht«, sagte Knut, als sie ihren Platz wieder eingenommen hatte.
»Übrigens, zur besseren Verständigung, ich heiße Lena«, sagte die Frau lächelnd.
»Dann nochmals vielen Dank, Lena«, wiederholte er. »Fahren Sie eigentlich immer alleine oder war das nur reiner Zufall?«
»Nein, kein Zufall«, lachte Lena, »eher ein Regelfall. Ich bin seit einigen Jahren geschieden – glücklich geschieden, wie man so schön sagt.«
»Ah.« Er musterte sie kurz von der Seite, wahrscheinlich weil er nichts Rechtes mit dieser Antwort anzufangen wusste. Wenigstens machte er diesen Eindruck.
»Nicht ah«, ahmte sie ihn nach. »Ich fahre sogar sehr gern alleine – es macht mir absolut nichts aus.«
»Dann haben Sie wohl auch keine Kinder, die Sie brauchen?«
»Kinder schon, aber brauchen? Nein, das muss nicht mehr sein.«
»Und durch die Wende, ist es da jetzt nicht wesentlich schwerer für Sie?«
»Ach so – Sie meinen, als Alleinstehende, nicht wahr?«
»Ja.«
»Nein, überhaupt nicht, da ich ja immer gearbeitet habe, selbst als die Kinder noch klein waren. Ich bin seit gut einem Jahr im Vorruhestand – eine wirklich gute Sache das.«
Knut schluckte, denn er hatte Lena wesentlich jünger geschätzt; dann war sie ja sogar älter als er.
Lena beugte sich etwas vor und sah ihn fragend an. »Habe ich etwas Falsches gesagt, oder warum gucken Sie so betroffen?«
»Nein, nein, gottbewahre! Ich hatte Sie nur wesentlich jünger geschätzt.«
Sie drohte ihm mit dem Finger. »Wer’s glaubt wird selig! Aber trotzdem, Danke! Nun mal was anderes, werden wir noch vor Anbruch der Dunkelheit am Gardasee ankommen?«
»Natürlich, spätestens gegen achtzehn Uhr.«
»Wie schön«, sagte sie fast jubelnd, »dann haben wir wenigstens noch etwas davon. Ich war nämlich gleich nach der Wende schon einmal für einige Tage dort, und ich war so was von begeistert.«
»Das glaube ich. Zumal Ihnen das alles über viele Jahrzehnte vorenthalten wurde. War das nicht schrecklich für Sie?«
»Schon, sehr sogar, aber wenn es nun einmal nicht anders geht, dann findet man sich früher oder später damit ab. Zumal wir auch nicht zu jener privilegierten Schicht gehörten, die sich ab und zu das östliche Ausland leisten konnten. Doch mit drei Kindern und dem geringen Verdienst, da war nur das Nötigste machbar.«
»Komisch, ich kenne mich zwar mit diesen Ostverhältnissen überhaupt nicht
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