Die Ueberbuchte
abgerissenen Notizzettel gekritzelte Adresse an. Sie kamen nur langsam voran, da Baustelle an Baustelle den Verkehr teilweise zum Erliegen brachten. So hatte er genügend Muse um sich nach allen Seiten umzusehen. Doch was er zu sehen bekam, waren entweder riesige Baustellen oder aber endlose marode Häuserzeilen, die im derzeit feucht diesigen Wetter noch elender wirkten, und dazu passend der schreckliche Zustand der Straßen – genauso hatte er sich’s vorgestellt.
Der Taxifahrer schien seine Gedanken erraten zu haben, denn er sagte mit typisch sächsischen Tonfall: »Erst ging gar nichts voran und nun alles auf einmal.«
»Ja, so ist das«, erwiderte Knut.
Der Fahrer sah kurz in den Rückspiegel und lächelte schwach, sagte aber nichts weiter. Er bog in eine verwinkelte Seitenstraße ein, wo sich zu beiden Seiten Geschäft an Geschäft reihte.
»So, da wären wir«, sagte der Fahrer.
Da stand er nun, mit seinem umfangreichen Gepäck. Er sah auf die Uhr, es blieben ihm nur noch drei Stunden bis zu seinem neuen Fahreinsatz. Hoffentlich bekam er einen guten Bus zugeteilt und kein so ein halbverbrauchtes ostdeutsches Gefährt. Wenigstens hatte man eine Zwischenübernachtung am Gardasee eingeplant, denn er hasste die Nachtfahrt, wenn alles um ihn herum schlief und er zusehen musste wie er sich am besten wachhielt – da nützte mitunter der stärkste Kaffee nicht.
Wie immer, waren es zumeist ältere Leute, die solche, für sie bequemen Reisen nutzten. So also auch diesmal. Die wenigen jüngeren Leute waren unschwer an einer Hand abzuzählen. Was sich jedoch an dieser Reise als äußerst fatal herausstellte, war die Tatsache, dass ein Gast zu viel gebucht war. Auf einmal hieß es: Es ist kein Platz mehr frei! Das allerdings war Knut noch nie passiert, da gewöhnlich eher einige Plätze frei blieben. Und er dachte halb verdrossen und halb amüsiert, typisch Osten.
Was also blieb Knut anderes übrig, als von Sitzreihe zu Sitzreihe zu gehen, um Ausschau zu halten, wer eventuell für den Beifahrersitz in Frage kommen könnte. Eigentlich war dieser Platz nicht für Fahrgäste vorgesehen, streng genommen nicht einmal erlaubt. Doch was hätte er anderes tun sollen?
Auf der vorletzten Reihe saßen zwei Frauen ungefähr in seinem Alter. Er fragte höflich: »So leid es mir tut aber ich muss Sie fragen: »Gehören Sie zusammen?«
»Nein, mein Mann sitzt hier hinter mir«, zeigte die Frau nach hinten auf ihren Mann.
»Aha, und Sie?«, fragte er weiter.
»Ich bin allein.«
»Oh, wie schön …!«, rief Knut in komischer Erleichterung.
Alle lachten.
Er sah die etwas verschämt lächelnde Frau so freundlich wie nur möglich an. »Würden Sie es vielleicht auf sich nehmen, bei mir vorn Platz zu nehmen?«
Da alle Blicke auf sie gerichtet waren, stieg eine leichte Röte in ihre Wangen. »Nun, ich schätze mir bleibt gar keine andere Wahl«, sagte sie schlicht. Sie ließ den Blick in die Runde schweifen und fragte: »Oder möchte jemand von sich aus neben diesen sympathischen Herrn da sitzen?« Sie wartete einen Augenblick, dann erhob sie sich und murmelte leise: »Dachte ich mir’s doch …!«
Nachdem sie sich gesetzt hatte, zeigte Knut auf den Sicherheitsgurt. »Den müssen Sie leider Gottes anlegen, das ist Vorschrift.«
»Dann richten Sie zumindest ihrer Firma aus, dass ich das nächste Mal Rabatt bekomme.«
»Wieso erst das nächste Mal?«, fragte er lächelnd zurück.
Die Frau lachte. »Ja, Sie haben recht, warum erst so lang warten, es könnte möglicherweise verjähren.«
»Eben«, nickte Knut. Er nahm das Mikrofon in die Hand und während er einen kurzen Blick in den Rückspiegel warf, sagte er: »Jetzt, da wir alle vollzählig bis überzählig unsere Plätze eingenommen haben, möchte ich mich erst einmal vorstellen: Ich heiße Knut, komme aus Bremen und werde Sie zehn Tage lang kreuz und quer durch die Lande kutschieren. Ich hoffe natürlich, dass wir gut miteinander auskommen und uns die Reise so angenehm wie möglich gestalten. Übrigens, ich fahre diese Route auch zum ersten Mal, da ich einen kranken Kollegen vertrete.« Schlagartig verfinsterten sich einige der aufmerksam zuhörenden Gesichter, und so fügte er amüsiert lachend hinzu: »Was natürlich nicht heißen soll, dass ich zum ersten Mal fahre. Im Gegenteil, ich habe eigentlich nie etwas anderes getan, und kenne mich mittlerweile in ganz Europa aus. Also keine Angst, Sie dürfen mir vertrauen – oder zumindest meiner Fahrpraxis.«
Dem folgte
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