Die Ueberlebende
allesamt offen stehen gelassen habe, damit der Geruch des verbrannten Fleisches und der verbrannten Knochen sich verflüchtigen kann, werden weiterhin diese ausdruckslosen und doch so wohlwollenden Gesichter starren, alle dreizehn, und mir aus stumpfen Augen zuzwinkern, die gespreizten Finger fest vom Tod umklammert.
Aber ich habe es dann doch getan. Ich bin von dort fortgelaufen, wenn auch nicht allzu weit. Ich brauchte nur die StraÃe zu überqueren, und dort wartete er schon auf mich. Mir liefen immer noch die Tränen über die Wangen, und ich war die ganze Zeit damit beschäftigt, mir das Blut von den Händen zu wischen. Er hatte mir versprochen, dass wir nach Delhi gehen würden, um dort ein neues Leben anzufangen. Doch als er da nun unter seinem Schirm stand, erklärte er mir, dass wir nicht sofort aufbrechen könnten, weil wir dazu Geld bräuchten. Also hat er mir gesagt, was ich zu tun hätte. Ich sollte zurück zu dem Haus gehen, und wenn man mich dort fand, sollte ich weinen, so wie ich es jetzt gerade tat, und sagen, mir wäre unwohl gewesen und ich hätte mich in meinem Zimmer schlafen gelegt. Dann wäre ich von dem Geruch brennenden Fleisches geweckt worden, und als ich aus meinem Zimmer gekommen sei, hätte ich all die Leichen entdeckt, eine nach der anderen. Ich wäre vollkommen hysterisch geworden und hätte geschrien, und dann wäre jemand über mich hergefallen. Ich hätte den Mann nicht erkannt, denn er sei ganz in Schwarz gekleidet gewesen und hätte eine Maske getragen. Die Diener hätten allesamt Ausgang gehabt, und ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte. Mir wäre schwindelig geworden, und obwohl ich um Hilfe gerufen hätte, hätte niemand mich gehört, weil der Regen so prasselte und es schon so spät in der Nacht war.
Wir sind dann wieder in das Haus gegangen, er und ich, und er hat mich geohrfeigt, weil ich so viel weinte, und dann hat er mir die Hände zusammengebunden und mir gesagt, ich solle mich aus den Fesseln zu befreien versuchen, damit Abdrücke an meinen Armen zurückbleiben würden. Es sollte so aussehen, als hätte jemand versucht, mir etwas anzutun und mich dazu gefesselt. Obwohl überall um uns herum lauter Blut und verbranntes Fleisch war, hat er meine Bluse hochgeschoben und meine Brüste gedrückt, und dann hat er mich in mein Zimmer gebracht, wo er mir meine Hose auszog und mich aufs Bett stieÃ. Mir war speiübel, und ich wollte nicht tun, was er von mir verlangte, aber er meinte, es müsse sein, damit unsere Geschichte glaubhafter wirkte, also gehorchte ich dieser mir so vertrauten, vernünftig klingenden Stimme und ergab mich dem Gefühl seiner Hände und seines Mundes auf mir.
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Ich öffne die Augen und starre an die Decke. Ich werfe einen Blick auf die Uhr â drei in der Früh. Ab und zu wird der Raum von den Scheinwerfern eines vorbeifahrenden Autos erhellt. Es ist alles so still, so still, wie es nur in Jullundur still sein kann. Nach all diesen Jahren der Bombenattentate, wenn Explosionen die Nacht in grelles Licht tauchten, sind es jetzt nur noch Autoscheinwerfer. Ich greife nach einer Zigarette. Es hat viele Vorteile, das Zimmer mit niemandem teilen zu müssen. Man kann im Bett furzen, und man kann rauchen, ohne vorher um Erlaubnis fragen zu müssen. Ich betrachte die bunt bedruckte Baumwollbettwäsche und stelle mir den letzten meiner Freunde vor, der sich darauf geräkelt hat. Er war haarig, fett und vermögend gewesen. Immer noch besser als kahlköpfig, dürr und bettelarm. Aber er hing auf geradezu unerträgliche Weise an seiner »Mummyji«.
Komische Sache, so eine Nabelschnur. Wenn man ein Mädchen ist, können sie es kaum erwarten, sie zu durchtrennen. Aber für Knaben läuft Milch wie Honigtau aus Mummyjis Brüsten. Ich habe gesehen, wie mein letzter Freund sich voller Wohlbehagen in Mummyjis Blick gesonnt hat, während er seine Millionen in Aktien und Wertpapieren wie Spielchips vor sich aufstapelte. Warum sollte sie bei ihrem immer weiter anwachsenden Vermögen, den immer verheiÃungsvolleren Patiencen, eine dunkelhäutige, in schlichte Baumwolle gekleidete Schwiegertochter wie mich wollen? Ich blies den Zigarettenrauch aus und pustete meinen letzten Freund von mir fort.
Ich habe immer noch Mummyjis empörte Stimme im Ohr: »Simran, du bist eine Sikh, eine echte Sardarni , und du rauchst
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