Die Überlebenden der Kerry Dancer
lächelte. »Die Jungens sind schon in friedlichen Zeiten ein ziemlich rauher Haufen, und jetzt ist erst recht nicht mit ihnen zu spaßen. Ich glaube nicht, daß Sie mit Kapitän Siran viel Ärger haben werden.«
»Bestimmt nicht. Bin Ihnen verdammt dankbar, Colonel. Das wird eine große Hilfe sein.« Farnholme knöpfte das Hemd zu, ergriff seinen Koffer und streckte die Hand aus. »Besten Dank für alles, Colonel. Klingt komisch, wenn man daran denkt, daß ein Gefangenenlager sie erwartet – trotzdem: alles Gute.«
»Danke, Sir. Und Ihnen viel Glück – Sie werden es, weiß Gott, nötig haben.« Er warf einen Blick dorthin, wo unter dem Hemd der Gürtel mit den Fotokopien saß, und sagte dann abschließend mit düsterer Stimme: »Es ist immerhin eine Möglichkeit.«
Der Rauch begann, sich langsam zu verziehen, als Brigadekommandeur Farnholme wieder hinausging in das Dunkel der Nacht; doch in der Luft lag noch dieses seltsame, unbehagliche Gemisch aus Pulverdampf und Tod und Fäulnis, das jedem alten Soldaten so vertraut ist. Vor dem Gebäude standen ein Offizier und ein Trupp Soldaten wartend angetreten.
Das Gewehr- und Maschinengewehrfeuer hatte zugenommen, die Sicht war wesentlich besser, doch das Granatfeuer hatte gänzlich aufgehört – vermutlich hielten es die Japaner für sinnlos, in einer Stadt, die ihnen am nächsten Tag ohnehin in die Hände fallen würde, noch allzu großen Schaden anzurichten. Farnholme und seine Eskorte bewegten sich in dem jetzt sacht fallenden Regen rasch durch die verlassenen Straßen, das Geräusch des Gewehrfeuers beständig in den Ohren, und waren nach wenigen Minuten am Hafen angelangt. Hier hatte sich der Rauch, von einer leichten östlichen Brise bewegt, fast ganz verzogen.
Der Rauch war fort, und im nächsten Augenblick machte Farnholme eine Entdeckung, die ihn veranlaßte, den Griff seines Handkoffers zu umklammern, daß seine Knöchel weiß wurden und sein angespannter Unterarm schmerzte: das kleine Beiboot der Kerry Dancer, das vorhin, als er zur Kommandantur gegangen war, sacht gegen die Kaimauer gescheuert hatte, war gleichfalls fort, und die böse Ahnung, die sofort in ihm aufstieg, ließ ihn rasch den Kopf heben und nach draußen starren, zur Reede hin, doch dort war nichts zu sehen. Die Kerry Dancer war verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte. Nur der Regen fiel, ein leichter Wind blies ihm ins Gesicht, und von links hörte er aus einiger Entfernung das leise, herzzerbrechende Schluchzen eines kleinen Jungen, der da allein in der Dunkelheit weinte.
Zweites Kapitel
D er Offizier, der das Kommando über die Soldaten hatte, berührte Farnholme am Arm und deutete mit dem Kopf nach draußen auf das Meer. »Das Schiff, Sir – es ist fort!«
Farnholme beherrschte sich mit Mühe. Doch als er sprach, klang seine Stimme so ruhig und sachlich wie immer.
»So sieht es in der Tat aus, Leutnant. Wie es in dem alten Lied heißt: Wir standen am Strand, und sie ließen uns stehn. Verdammt unpassend, das muß ich schon sagen.«
»Jawohl, Sir.« Leutnant Parker fand, daß Farnholmes Reaktion dem außerordentlichen Ernst der Situation kaum entsprach. »Und was soll jetzt geschehen, Sir?«
»Sie haben recht. Was soll geschehen?« Farnholme blieb eine Weile stehen und rieb sich mit abwesender Miene das Kinn. »Hören Sie dort das Kind weinen?« fragte er plötzlich.
»Jawohl, Sir.«
»Schicken Sie einen Ihrer Leute hin, daß er es herbringt. Nach Möglichkeit«, setzte Farnholme hinzu, »einen freundlichen, väterlichen Typ, der das Kind nicht zu Tode erschreckt.«
»Es herbringen, Sir?« fragte der Leutnant erstaunt. »Aber es gibt hier Hunderte dieser kleinen Straßenjungen –« Er verstumme, da Farnholme plötzlich hochaufgerichtet vor ihm stand und ihn aus kalten, unbeweglichen Augen ansah.
»Ich hoffe doch, Leutnant Parker, daß Sie nicht taub sind«, sagte er besorgt. Der leise Ton seiner Stimme war, wie die ganze Zeit über, einzig und allein für die Ohren des Leutnants bestimmt.
»Jawohl, Sir! Ich wollte sagen, nein, Sir!« Parker revidierte hastig seinen bisherigen Eindruck von Farnholme. »Ich werde sofort einen Mann hinschicken, Sir.«
»Danke. Und dann schicken Sie ein paar Mann nach beiden Seiten am Hafen entlang, so etwa eine halbe Meile weit. Sagen Sie ihnen, sie sollen alle Leute, die sie antreffen, hierherbringen – vielleicht können sie uns irgendeine Aufklärung über das verschwundene Schiff geben. Sagen Sie Ihren Männern, daß sie
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