Die Überlebenden der Kerry Dancer
besonders gut mit Kindern verstanden. Schließlich auch kein Wunder bei so einem alten, widerborstigen Junggesellen. Wir werden seinen Namen schon noch erfahren.«
»Er heißt Peter«, meldete der Sergeant in dienstlichem Ton. »Peter Tallon. Er ist zwei Jahre und drei Monate alt, wohnt in der Mysore Road, Singapur-Nord, und gehört der englischen Kirche an.«
»Das alles hat er Ihnen erzählt?« fragte Farnholme ungläubig.
»Er hat keinen Ton gesagt, Sir. Aber er trägt eine Erkennungsmarke an einem Band um den Hals.«
»Gewiß«, murmelte Farnholme. Das schien den Umständen nach die einzige angemessene Bemerkung. Er wartete, bis der Sergeant sich wieder zu seinen Männern begeben hatte, und warf dann Parker einen nachdenklichen Blick zu.
»Bitte tausendmal um Entschuldigung.« Die Stimme des Leutnants klang ernst. »Aber wie zum Teufel konnten Sie das wissen?«
»Wäre noch schöner, wenn ich das nicht wissen sollte, nach dreiundzwanzig Jahren im Osten. Gewiß, es gibt auch Kinder von Malaien und Chinesen, die herumstreunen, doch die tun das dann aus freien Stücken. Und die stehn auch nicht irgendwo und weinen. Wenn sie es täten, so würden sie nicht lange weinen. Diese Leute bekümmern sich immer und überall um die ihren – nicht nur um die eigenen Kinder, sondern um alle der eigenen Art.« Er machte eine Pause und sah Parker fragend an. »Haben Sie irgendeine Vorstellung, was die lieben Japaner mit diesem Kind gemacht hätten, Leutnant?«
»Ich kann es mir denken«, sagte Parker. »Ich habe einiges gesehen und eine Menge gehört.«
»Glauben Sie alles, und dann verdoppeln Sie es. Der Japaner ist ein Feind von unmenschlicher Grausamkeit.« Er wechselte abrupt das Thema. »Wir wollen wieder zu Ihren Leuten gehen. Und beschimpfen Sie mich ein bißchen, wenn wir zu den anderen kommen. Das wird einen nachhaltig guten Eindruck machen – das heißt, von meinem Standpunkt aus gesehen.«
Fünf Minuten verstrichen, und dann zehn Minuten. Die Männer gingen ruhelos hin und her, einige rauchten, andere saßen auf ihrem Marschgepäck, doch keiner von ihnen sprach. Selbst der kleine Junge hatte aufgehört zu weinen. Von der nordwestlichen Grenze der Stadt her war deutlich das in Abständen aufflackernde Gewehrfeuer zu hören, im übrigen aber war die Nacht sehr still. Der Wind hatte gedreht, und der letzte Rest des Rauches verzog sich langsam. Es regnete noch immer, heftiger jetzt als zuvor, und die Nacht wurde kalt.
Und dann kam von Nordosten her, aus der Richtung der Kalang-Bucht, das Geräusch sich nähernder Schritte, der abgemessene Gleichschritt einiger Soldaten und das rasche, ungleichmäßige Geklapper weiblicher Absätze. Parker starrte die Ankömmlinge an, die aus der Dunkelheit auftauchten, und wandte sich dann an den Soldaten, der sie hergeführt hatte.
»Was bedeutet das alles? Was sind das für Leute?«
»Krankenschwestern, Sir. Wir trafen sie, wie sie ein Stück von hier entfernt am Hafen entlangirrten.« Die Stimme des Soldaten klang, als bäte er um Entschuldigung. »Ich glaube, Sir, sie hatten sich verlaufen.«
»Verlaufen?« Parker sah das hochgewachsene Mädchen an, das am nächsten vor ihm stand. »Was zum Teufel soll das heißen, daß Ihr hier mitten in der Nacht in der Stadt umherirrt?«
»Wir sind auf der Suche nach einer Gruppe von verwundeten Soldaten, Sir.« Ihre sanfte Stimme klang heiser. »Verwundete und Kranke. Aber – nun ja, es sieht so aus, als ob wir sie nicht finden könnten.«
»Das scheint mir auch«, meinte Parker trocken. »Und Sie haben das Kommando?«
»Jawohl, Sir.«
»Wie ist Ihr Name, bitte?« Die Stimme des Leutnants klang jetzt um einen Grad weniger dienstlich; das Mädchen hatte eine angenehme Stimme, und er konnte sehen, daß sie sehr müde war und im Regen vor Kälte zitterte.
»Drachmann.«
»Also, Miss Drachmann, haben Sie irgend etwas gesehen oder gehört von einem kleinen Motorboot oder von einem Küstendampfer, irgendwo hier vor der Küste?«
»Nein, Sir.« Sie sprach mit einem Ausdruck müden Erstaunens. »Alle Schiffe haben den Hafen von Singapur längst verlassen.«
»Ich hoffe zu Gott, daß Sie sich im Irrtum befinden«, brummte Parker. Laut sagte er: »Verstehen Sie irgendwas von kleinen Kindern, Miss Drachmann?«
»Wovon?« fragte sie einigermaßen fassungslos.
»Der Sergeant da hat einen kleinen Jungen gefunden.« Parker zeigte mit dem Kopf dorthin, wo der Sergeant noch immer das Kind auf den Armen hielt, das jetzt aber zum Schutz
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