Die Ueberlebenden von Mogadischu
Fernsehjournalisten greifen gern auf die immer gleichen, affirmativen Bilder zurück, etwa auf die Bilder der Verhaftung von Andreas Baader, der sich, durch einen Beinschuss verletzt, nicht mehr gegen seinen Abtransport wehren kann. Dass er zuvor selbst auf Polizisten geschossen hatte, erschließt sich dem Betrachter nicht.
Genauso häufig kehren die Bilder des Begräbnisses von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe wieder, als ein starkes Polizeiaufgebot die Zeremonie begleitet. Ohne Zweifel war das Maß des Einsatzes von Polizisten zu Fuß, auf dem Pferd, in Autos und in Hubschraubern übertrieben; doch durch den Fokus auf diese Überreaktion gerät leicht aus dem Blick, wer mit welchen Handlungen eine solche Überreaktion bewirkt hat.
Die Rote Armee Fraktion ist Geschichte, doch in den Filmen zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes lebt ihr Mythos fort, etwa im TV -Zweiteiler Die RAF von Stefan Aust und Helmar Büchel oder, ein Jahr später, in dem Kino-Spielfilm Baader-Meinhof-Komplex von Bernd Eichinger und Uli Edel. Es ist der Mythos von den intelligenten jungen Leuten, die aus normalen Familienverhältnissen stammten und die Vision einer besseren Welt hatten. Sie glaubten an eine gerechtere Gesellschaft. Unter diesen jungen Leuten waren viele Frauen, die mit ihrem Engagement die Gleichheit der Geschlechter selbstverständlich praktizierten. Am Anfang waren sie politische Visionäre, vielleicht Romantiker und Abenteurer, doch ihre Einsicht, nichts verändern zu können, schlug in Wut und Verzweiflung um. Daraus wurde schließlich Hass gegen einen Staat, der sie, nachdem sie Verbrechen begangen hatten, mit aller Macht und bis an die Grenze des Gesetzlichen verfolgt – soweit der Mythos.
Doch schon 2006 entsteht ein Film, der die Folgen des Terrorismus aus Sicht eines Opfers erzählt. Im Drama Schattenwelt (Regie: Connie Walther) kommt ein Mitglied der Roten Armee 284 Fraktion nach über 20 Jahren Gefängnis frei und wohnt zufällig Tür an Tür mit einer jungen Frau, deren Vater bei einem terroristischen Anschlag ums Leben gekommen ist. Als die Frau von der Vergangenheit des Nachbarn erfährt, will sie wissen, ob er am Tod ihres Vaters mitverantwortlich ist. Es stellt sich heraus, dass er tatsächlich geschossen und das Opfer tödlich getroffen hat. Er glaubte, in der Situation nicht anders handeln zu können. Und er hat für seine Tat gebüßt.
Für die Tochter des Opfers sind solche Erklärungen nicht akzeptabel.
»Wer gab euch das Recht zu morden?«, fragen 2007 Anne Ameri-Siemens und Henning Rütten in ihrer Dokumentation über die Geschichte der RAF -Opfer . Grundlage des Films sind die Recherchen von Anne Ameri-Siemens zu ihrem Buch Für die RAF war er das System, für mich der Vater: Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus . Zum ersten Mal sprechen nichtprominente Opfer von RAF -Gewalttaten vor einer Fernsehkamera über den verlorenen Partner oder den verlorenen Vater.
In der Dokumentation Die Witwe und der Mörder aus dem Jahr 2011 erzählt die Autorin Irene Klünder die Geschichte zweier RAF -Opfer, die nicht zu den prominenten unter den insgesamt 34 Menschen gehören, die von RAF -Mitgliedern erschossen wurden. Joke Kranenburg verlor ihren Mann Arie Kranenburg, einen Polizisten, am 22. September 1977 , während der Fahndung nach dem entführten Hanns Martin Schleyer. Der Terrorist Knut Folkerts erschoss den Polizisten. Er wurde Ende 1977 in den Niederlanden zu 20 Jahren Haft verurteilt, an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert und 1995 aus der Haft entlassen. Er lebt heute in Hamburg. Joke Kranenburg verlangt eine Neuaufnahme des Verfahrens gegen ihn.
Irene Klünder porträtiert außerdem den früheren Polizisten Wolfgang Seliger, der am 3. Mai 1977 sieben Pistolenschüsse überlebt hat, die der Terrorist Günter Sonnenberg gezielt auf ihn abgab. Bei der Polizeiaktion in der Nähe von Singen wurde die Terroris 285 tin Verena Becker festgenommen. Wolfgang Seliger bekam hinterher zwar keine psychologische Hilfe, hat aber, wie der Film eindrücklich zeigt, sein Schicksal gemeistert. Irene Klünder kann auch einen Täter für ein Interview vor der Kamera gewinnen, den früheren RAF -Terroristen Werner Lotze. Er hat im Herbst 1978 in der Nähe von Dortmund den Polizisten Hans-Wilhelm Hansen erschossen. »Es gibt Ex- RAF -Mitglieder«, sagt Werner Lotze in dem Film, »aber es gibt keine Exmörder.«
Im neuen Jahrtausend werden die Angehörigen der zweiten RAF
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